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Geheime Mädchenschule in Kabul «Sie machen mich verrückt, diese Taliban»

Eine 21-jährige Afghanin will sich das Bildungsverbot der Taliban nicht gefallen lassen. Sie hat heimlich eine Schule für Mädchen gegründet, die eigentlich nicht zur Schule gehen dürften. Die Angst ist immer präsent.

Es ist noch früh an diesem Wintermorgen. Acht Mädchen knien um einen grossen Holztisch im Untergeschoss eines Hauses. Die Achtklässlerinnen sind in dicke Jacken gehüllt, es ist kalt im Raum. Vorne an der Tafel steht Nazanin, die Lehrerin. Ohne die 21-Jährige gäbe es diese Schule nicht. Sie hat alles in Eigenregie organisiert, heimlich. Denn alles, was in dieser Schule passiert, ist nach den Regeln des islamischen Emirats verboten.

«Ich habe diese Schule vor neun Monaten gegründet», sagt die freundlich lächelnde junge Frau, die mit ihren kurzen Haaren und Hosen auffällt. «Weil ich gesehen habe, wie verzweifelt meine jüngere Schwester war. Und nicht nur sie: so viele Mädchen um mich herum hatten Depressionen, weil sie nicht mehr zur Schule gehen durften und weil ihnen vorgeschrieben wird, sich zu verhüllen.»

Eine kecke 16-Jährige träumt davon, Astronomin werden

Bücher und anderes Material hätten ihr Freundinnen und Freunde gebracht. Einer habe den Tisch gespendet. Ein anderer Freund Spenden organisiert. Mit dem Geld habe ihr Vater dann die Zimmer renoviert. «Es gibt immer Leute, die mir helfen», sagt Nazanin.

Eines der Mädchen, die zum Unterricht kommen, ist Sahara, eine kecke 16-Jährige mit knallrotem Schal. Sie wolle gebildet sein, nicht so wie die Taliban, sagt sie. Als Berufswunsch gibt sie «Astronomin» an, als Hobby «Künstlerin». «Ich will nicht, dass die Taliban mir sagen, was ich tun soll.»

Mädchen sieht Ansprache des afghanischen Bildungsministers
Legende: Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan werden die Rechte von Mädchen und Frauen systematisch eingeschränkt. So dürfen Mädchen nur noch bis zur 6. Klasse in die Schule gehen. Keystone/EPA (Symbolbild)

Auf dem Schulweg hat Sahara immer Angst, von den Taliban entdeckt zu werden. Ihre Bücher versteckt die junge Frau unter ihrem langen Mantel. Und auch Nazanin, die Lehrerin, hat Angst. «Wenn jemand etwas stärker an die Tür klopft, denke ich, die Taliban könnten draussen stehen.» 

«Wir können nicht einfach schweigen»

Doch Nazanin zwingt sich, die negativen Gedanken aus ihrem Kopf zu vertreiben. Sie weiss, dass sie für Mädchen wie Sahara ein Vorbild sein muss. Aber: «Sie machen mich verrückt, diese Taliban», sagt sie. «Ich habe keine Freiheit mehr. Darum habe ich mir jetzt die Haare abgeschnitten. Und vielleicht fange ich bald an, mich wie ein Junge zu kleiden, damit ich ohne Probleme vor die Tür kann.»

Aufzugeben sei keine Option. «Wir können nicht einfach schweigen. In einer Gesellschaft, die von den Taliban oder anderen Diktatoren regiert wird, muss man aufstehen, dagegen angehen, das Bewusstsein verändern.» Doch die mutige junge Frau ahnt, dass der Weg noch lang sein könnte.

Echo der Zeit, 08.03.2023, 18 Uhr

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