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Gelbe Westen und grosser Unmut Droht Europa ein Volksaufstand?

In Frankreich treibt eine diffuse Unzufriedenheit die Massen auf die Strassen. Diese herrscht auch andernorts.

Die Bewegung überstand die besinnliche Weihnachtszeit und den Wintereinbruch. Weiterhin ziehen jeden Samstag Menschen in gelben Warnwesten durch Frankreichs Metropolen: Die «Gilets Jaunes» zeigen eine Ausdauer, mit der kaum jemand gerechnet hat.

Für Hélène Miard-Delacroix, Professorin für Zeitgeschichte an der Pariser Universität Sorbonne, ist klar: Es brodelt in der Fünften Republik, und womöglich nicht nur dort: «Was Frankreich derzeit erlebt, ist für ganz Europa eine Warnung.»

Hélène Miard-Delacroix

Professorin für Zeitgeschichte

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Hélène Miard-Delacroix ist Professorin für Zeitgeschichte an der Pariser Sorbonne und forscht über die Bewegung der «Gilets Jaunes».

Die Gelbwesten protestieren gegen etwas, das auch Menschen in anderen europäischen Ländern umtreibt: ein diffuses Gefühl, von den Mächtigen und Reichen abgehängt worden zu sein. Für Miard-Delacroix vereint die Sammelbewegung der Unzufriedenen eine einfache Formel: «Sie wollen Gerechtigkeit.»

Dabei begann alles ganz profan. Die Wut der «Gilets Jaunes» entzündete sich im Herbst an einer Erhöhung der Benzinpreise und einem Tempolimit auf Landstrassen – also am Auto. Dieses sei inzwischen zu einem Symbol geworden. Nämlich für die eigene Freiheit und Lebensweise, die von «denen da oben» beschnitten werde.

Verbannt in die Peripherie

Die Bewegung wird getragen von Menschen, die abseits der urbanen Zentren leben, auf dem Land und in der Peripherie der Städte. Menschen also, die weit fahren müssen, um an ihren Arbeitsplatz zu kommen oder von der besseren Infrastruktur in den Zentren zu profitieren – etwa Krankenhäusern.

In vielen europäischen Ländern gibt es Menschen, die keine Aufstiegsmöglichkeiten für sich sehen.
Autor: Hélène Miard-Delacroix Historikerin an der Sorbonne

«Sie fühlen sich ausgeschlossen aus den Städten und glauben, dass sie aus dem echten Leben herausgeschleudert werden, weil sie nicht genügend verdienen.» Wenn nun der Preis des Autofahrens erhöht werde, werde das als «unerträgliche Attacke» durch das Establishment wahrgenommen.

Von der gemeinsamen Wut abgesehen sei die Bewegung aber äusserst heterogen, sagt die Historikerin: «Einige finden, dass jetzt die Zeit gekommen ist, eine Revolution herbeizuführen.» Andere wiederum strebten lediglich soziale Reformen oder Steuererleichterungen an: «Sie fühlen sich in einer Notsituation.»

«Tabula Rasa» zu machen

Geeint würden die Demonstranten durch das Gefühl, dass die Institutionen verkrustet seien. Dass eine Kaste von Berufspolitikern regiere, die den Kontakt zur Bevölkerung verloren habe. Dazu gehöre auch Misstrauen gegenüber den Medien: Diese würden als Wasserträger eines überkommenen Systems betrachtet.

Fraglich bleibt, ob der Wut eine politische Richtung gegeben werden kann. Ein anarchistischer Teil der Bewegung wolle zwar alles Bestehende beseitigen, so Miard-Delacroix: «Aber ohne den nächsten Schritt zu machen und zu fragen, was danach kommt.» Einzelne Exponenten streben tatsächlich politische Ämter an, etwa bei den anstehenden Europawahlen: Sie drohten damit aber selbst zum Feindbild des radikalen Flügels der Gelbwesten zu werden.

Macron startet nationalen Dialog

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Wie kann eine «Politiker-Kaste», die zur Zielscheibe geworden ist, Gegensteuer geben? Macron versucht es mit Bürgergesprächen – er will den Menschen zuhören. «Er versucht damit, den Unmut zu kanalisieren und die Bewegung ernst zu nehmen», so Miard-Delacroix.

Aber: «Die Gilets Jaunes gibt es nicht, auch wenn sie alle die gleiche Weste tragen.» Deshalb könne der Präsident auch nicht die vielfältigen Forderungen unter einen Hut bringen. Das «Zuhören» an sich begrüsst die Historikerin aber: «Die Probleme waren seit langem bekannt, aber niemand kümmerte sich darum.»

Die Kräfte, die derzeit in Frankreich frei werden, machen Regierungen europaweit Angst. Aus gutem Grund: «In vielen europäischen Ländern gibt es Menschen, die keine Aufstiegsmöglichkeiten für sich sehen. Sie fühlen sich globalen Kräften ausgesetzt, die nicht überschaubar sind.»

Die Situation sei von Land zu Land unterschiedlich. Doch vielerorts krankten Menschen an der Komplexität der globalisierten Welt. Die Historikerin schliesst mit einer Warnung. Ein Teil der Unzufriedenen sehne sich nach Radikallösungen: Absetzung der Elite, Enteignung der Reichen, Rauswurf der Ausländer – oder nach einem starken Mann.

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