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Genua nach dem Brückeneinsturz «Die Genuesen haben die Nase voll»

Vor drei Monaten stürzte in Genua die Morandi-Brücke, die quer über die Stadt führte, ein. Vierzig Menschen kamen ums Leben. Es folgten Schuldzuweisungen und Versprechungen. Wie es mit der Planung der neuen Brücke vorangeht, sagt Journalist Dominik Straub.

Dominik Straub

Freier Journalist

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Domink Straub ist freier Journalist in Rom und schreibt für verschiedene Tageszeitungen. Davor war er in Bern für eine Tageszeitung tätig.

SRF News: Wann steht die neue Brücke in Genua?

Dominik Straub: In Sachen Wiederaufbau ist noch gar nichts passiert. Es gibt kein Projekt. Man weiss nicht, wer die Brücke bauen soll und man weiss nicht, was sie kosten wird. In den letzten drei Monaten hat man zum grössten Teil die Trümmer der eingestürzten Brücke weggeräumt. Der Rest der Brücke, der nicht eingestürzt ist, steht da noch. Die Ruine muss zuerst abgerissen werden. Das alleine wird Monate dauern.

Das Hauptproblem in Genua ist, dass die populistische Regierung in Rom laufend unrealistische Versprechungen macht, die sie dann nicht einhalten kann.

Sie sagen, es gebe noch kein konkretes Projekt. Wie steht es denn um dasjenige, das der italienische Stararchitekt Renzo Piano vorgestellt hat?

Piano ist selber Genuese und hat von sich aus ein Projekt vorgestellt, das er seiner Heimatstadt schenken wollte. Er hat dies gratis gemacht. Es ist aber nicht viel mehr als ein visueller Entwurf, weit entfernt von einem Ausführungsprojekt. Gleichzeitig hat auch der Verkehrsminister ein eigenes Projekt vorgestellt, das stark davon abweicht. Seither hört man von Pianos Brücke nicht mehr allzu viel. Welches Projekt zu welchem Zeitpunkt realisiert wird, ist völlig offen.

Die Regierung will, dass die bisherige Betreiberin Autostrade Italia die neue Brücke nicht bauen soll. Wer denn?

Das ist eine gute Frage. Die Regierung hat – als die Toten des Einsturzes noch nicht einmal begraben waren – bereits gewusst, wer schuldig ist. Laut der Regierung war das die Autostrade oder vielmehr die Familie Benetton, die die Autostrade kontrolliert. Deswegen hat die Regierung verkündet, dass die Autostrade und die Benettons die neue Brücke auf keinen Fall bauen werden. Zuletzt hat man ihnen auch damit gedroht, ihnen die Autobahn-Konzession zu entziehen. Damit ist unklar, wer die neue Brücke bauen soll.

Laut Experten droht eine Lawine von Beschwerden und Gerichtsverhandlungen, die den Neubau weiter um Monate, wenn nicht sogar um Jahre verzögern könnte.

Man hört, dass erst einmal maximal fünf Unternehmen angeschrieben werden sollen, die ein Projekt einreichen können. Dann wird das beste Projekt gewählt. Die Frage ist, ob das den EU-Vorschriften für die öffentlichen Ausschreibungen von grossen Infrastrukturprojekten genügt. Laut Experten droht eine Lawine von Beschwerden und Gerichtsverhandlungen, die den Neubau weiter um Monate, wenn nicht sogar um Jahre verzögern könnte.

Die Verantwortlichen sprechen davon, dass bereits im Verlauf des Jahres 2020 eine neue Brücke stehen soll. Ist das unrealistisch?

Das ist völlig unrealistisch. Ein Bauingenieur, der schon vor Jahren auf die Schäden an der Morandibrücke hingewiesen hatte, erklärte in diesen Tagen, dass allein die Installation des Bauplatzes sechs Monate dauern werde.

Es dürften also noch Jahre vergehen, bis Genua wieder eine Autobahnbrücke hat?

Der Ingenieur, den ich eben zitierte habe, hat gesagt, dass die Genuesen froh sein könnten, wenn sie in vier Jahren wieder eine neue Brücke hätten. Das sehen die meisten Experten ähnlich. Das Hauptproblem in Genua ist, dass die populistische Regierung in Rom laufend unrealistische Versprechungen macht, die sie dann nicht einhalten kann. Zuerst hatte sie gesagt, dass schon im kommenden Jahr eine neue Brücke stehen werde.

Das ganze Agieren der Regierung ist von Improvisation gekennzeichnet. Es hat zum Beispiel fast zwei Monate gedauert, bis allein ein Sonderkommissar eingesetzt wurde. Das entsprechende Dekret über die Einsetzung dieses Kommissars ist inzwischen 77 Mal abgeändert worden, sodass der Kommissar gar nicht richtig weiss, was er zu tun hat. Fest steht einzig, dass die Genuesen unter der Situation leiden und die Nase voll haben.

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