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Geopolitische Gratwanderung Russische Muskelspiele lassen Finnland kalt

Das Säbelrasseln des Kremls ist bis nach Finnland zu vernehmen. Diktieren lässt man sich nichts vom mächtigen Nachbarn.

Seit Wochen blickt die Welt an die russisch-ukrainische Grenze, wo die Russen grosse Truppenverbände zusammengezogen haben. Um einen Einmarsch zu verhindern, diskutieren Russland und die USA verschiedene Streitpunkte. Die Russen fordern, dass die Ukraine nie Nato-Mitglied werden darf, und das westliche Militärbündnis auch keine anderen Nachbarländer von Russland aufnimmt.

Finnland hat aus der Vergangenheit gelernt. Wir lassen uns unseren Handlungsspielraum nicht nehmen.
Autor: Sanna Marin Finnische Ministerpräsidentin

Dabei denken die Russen vor allem an Finnland. Dort macht man sich Sorgen wegen des russischen Muskelspiels, auch weil man eine über 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt.

Klare Worte Richtung Moskau

Bis 1917 herrschte das russische Zarenreich über Finnland – seither verfolgte das nordische Land konsequent seine Unabhängigkeit. 1995 trat es der EU bei. Und auch während Putins Panzer vor der Ukraine stehen, gibt sich Helsinki selbstbewusst.

Sanna Marin
Legende: Finnland will selbst über einen allfälligen Nato-Beitritt entscheiden: Ministerpräsidentin Sanna Marin erteilte russischen Druckversuchen eine deutliche Absage. Keystone

«Die Möglichkeit eines militärischen Bündnisanschlusses und eines Antrags auf Nato-Mitgliedschaft gehört zu Finnlands Handlungsspielraum und Entscheidungsfreiheit», erklärte Präsident Sauli Niinistö in seiner Neujahrsansprache. Premierministerin Sanna Marin sekundierte: «Finnland hat aus der Vergangenheit gelernt. Wir lassen uns unseren Handlungsspielraum nicht nehmen.»

Deutliches «ei» aus Helsinki

«Von offizieller Seite reagiert man mit einem deutlichen ‹Njet› oder auf Finnisch ‹ei› auf die russischen Forderungen», fasst SRF-Nordeuropa-Korrespondent Bruno Kaufmann zusammen. «Der Präsident und die Premierministerin machten deutlich: Finnland entscheidet selbst, ob und wann es seine seit Mitte der 1990er-Jahre bestehende Nato-Beitrittsoption auslöst.»

Lastwagen warten vor russisch-finnischer Grenze
Legende: Finnland ist das EU-Land mit der längsten Landesgrenze zu Russland und pflegt laut Korrespondent Kaufmann ein «pragmatisches Verhältnis» zum grossen Nachbarn. Keystone

In der finnischen Bevölkerung geniesse die offizielle Haltung, sich einen Nato-Beitritt offenzuhalten, breite Unterstützung, so Kaufmann weiter. «Die Finninnen und Finnen möchten aber gerne gute Nachbarn bleiben. Sie haben seit langem einen pragmatischen Kurs im Verhältnis zu Russland.»

Aktuell würde sich die Bevölkerung in einer Volksabstimmung wohl gegen einen Nato-Beitritt entscheiden, schätzt der Korrespondent. Dies hänge aber auch von der weiteren Entwicklung ab. Konkret davon, ob Moskau seinerseits den Status quo beibehalten wolle.

Bewaffnete Neutralität

Militärisch wird sich vorderhand kaum etwas verändern. Das Land setzt seit dem Zweiten Weltkrieg, als man zunächst jahrelang gegen die Sowjetunion und schliesslich gegen Nazi-Deutschland kämpfte, auf eine starke Armee samt Wehrpflicht. «Bei den Rüstungsgeschäften hat in den letzten Jahren aber doch eine klare West-Orientierung stattgefunden», erklärt Kaufmann.

F-35 auf Schweizer Luftwaffenstützpunkt, 2019.
Legende: Nach der Schweiz hat sich auch Finnland für den F-35 als neues Kampfflugzeug entschieden. Keystone

Erst im Dezember bewilligte die finnische Regierung zehn Milliarden Euro für den Erwerb von 64 Kampfjets des US-Herstellers Lockheed Martin sowie die damit verbundenen zusätzlichen Kosten wie Wartung und Training. Das Angebot des benachbarten Schwedens für den Kauf des JAS 39 Gripen schlug Helsinki aus.

Schwedische Nato-Befürworter erhalten Auftrieb

Box aufklappen Box zuklappen

Schweden seinerseits ist kein Nachbarland Russlands. Aber die Russen fordern trotzdem, dass das Land nicht der Nato beitritt. «In Schweden sorgt das für viel grössere Aufregung als in Finnland», berichtet Korrespondent Bruno Kaufmann. «Das hat auch damit zu tun, dass Russland von Schweden historisch als Rivale und Feind betrachtet wird – und nicht wie in Finnland als Nachbar und Partner.»

Die Drohgebärden aus Moskau führen nun gar dazu, dass sich schwedische Befürworter eines Nato-Beitritts ermuntert fühlen: Die sozialdemokratische Regierung will zwar an der traditionellen Allianzfreiheit festhalten. Die rechtsbürgerliche Opposition fordert aber einen Nato-Beitritt. Noch diese Woche soll eine Aussprache unter den Parteispitzen im Parlament erfolgen.

Dazu kommt: Die russische Annexion der Krim von 2014 löste in Schweden einen sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel aus. «Vorher hatte man die Wehrpflicht abgeschafft und die Armee auf internationale Einsätze eingeschworen – seither wird wieder aufgerüstet und die Wehrpflicht ist zurück», sagt Kaufmann.

Finnland und Schweden treten der russischen Kraftmeierei also selbstbewusst entgegen. Das birgt auch Risiken: Denn damit steigt vorderhand das Risiko von Spannungen in der Ostsee, schliesst Kaufmann. Schon in den letzten Jahren kam es zu Scharmützeln zu Wasser und im Luftraum.

Zudem richtet man den Blick auch ans andere Ufer der Ostsee, wo sich Lettland, Litauen und Estland mit russischen Einflussversuchen konfrontiert sehen. «Die Haltung zu den baltischen Staaten, die früher zur Sowjetunion gehörten, heute aber skandinavische Bruderstaaten sind, fliesst in die Diskussionen ein.»

Rendez-vous, 11.01.2022, 12:30 Uhr ; 

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