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Gewalt in Nahost Nahost-Konflikt: kein Vertrauen mehr

Ein Mann läuft über einen Schrottplatz mit ausgebrannten Autos.
Legende: Verbrannte Autos auf einem Schrottplatz in Huwara. Zahlreiche israelische Siedler randalierten im nördlichen Westjordanland und setzten Autos und Häuser in Brand, nachdem zwei Siedler von einem palästinensischen Bewaffneten getötet worden waren. Keystone/AP Photo/Ohad Zwigenberg

Es sind Bilder, Geschichten, die schlimmste Erinnerungen wecken. Eine Familie sitzt abends in ihrem Haus. Plötzlich hört sie Gejohle, Schüsse und wie eine wildgewordene Meute versucht, in ihr Haus einzubrechen. Dann Feuer. Ringsherum. «Ich wollte meine Familie retten, aber wir wussten: Wir sterben, wenn wir hinausrennen, und wir sterben, wenn wir im Haus bleiben.» Wie oft schon haben wir schaudernd solche Geschichten gehört.

Der palästinensische Familienvater Ziad aus Huwara erzählt SRF mit zitternder Stimme von der Angst, die er ausgestanden hat. Andere teilen Bilder der brennenden Häuser an der Hauptstrasse des Städtchens auf den sozialen Medien. Sie erinnern an die schlimmsten Pogrome der Geschichte, und das Wort Pogrom wird am nächsten Tag gleichermassen von Juden und Palästinenserinnen gebraucht. Bei beiden wecken die Bilder dieser Nacht schlimmste Erinnerungen.

Für solche Gewalt haben Menschen, welche ihre Menschlichkeit noch nicht verloren haben, keine Worte. Aber viele haben sie verloren in diesen Jahrzehnten der Gewalt. Palästinenser erschiessen wahllos Juden wie die zwei israelischen Brüder an diesem schwarzen Sonntag. Aus Rache zünden Juden wahllos palästinensische Häuser an, mit dem Ziel, ihre Bewohner zu verbrennen.

Netanjahu hat die Kontrolle verloren

Ein israelischer Politiker lobt die Selbstjustiz als beste Abschreckung von Terroristen. Selbstjustiz auch vonseiten der palästinensischen Terroristen: Die nächste Racheaktion werde folgen. Und derweil verabschiedetet die Knesset immer unbarmherzigere Gesetze und versucht die Justiz auszuhebeln, welche Selbstjustiz wohl verurteilen würde. Premier Netanjahu hat die Kontrolle über die Extremisten in seinem Kabinett verloren, genauso, wie Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas die Kontrolle über militante Palästinenser verloren hat.

Dabei gab es just am Tag dieser Gewalteskalation einen kleinen Funken Hoffnung: Zum ersten Mal seit Jahren hatten sich israelische und palästinensische Funktionäre in Jordanien zusammengesetzt, um über eine Deeskalation der Situation im Westjordanland zu reden. Aber nach 75 Jahren der Gewalt hat kaum noch jemand Vertrauen in einen Friedensprozess. Die Israelis wollen ein Ende palästinensischer Terroranschläge, die Palästinenser wollen ein Ende der israelischen Besatzung und einen eigenen Staat. Diesen wird ihnen Israel nie geben. Es fehlt schlicht das Vertrauen, dass dies ein friedlicher Staat wäre.

Susanne Brunner

Leiterin Auslandredaktion

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Susanne Brunner war für SRF zwischen 2018 und 2022 als Korrespondentin im Nahen Osten tätig. Sie wuchs in Kanada, Schottland, Deutschland und in der Schweiz auf. In Ottawa studierte sie Journalismus. Bei Radio SRF war sie zuerst Redaktorin und Moderatorin bei SRF 3. Dann ging sie als Korrespondentin nach San Francisco und war nach ihrer Rückkehr Korrespondentin in der Westschweiz. Sie moderierte auch das «Tagesgespräch» von Radio SRF 1. Seit September 2022 ist sie Leiterin der Auslandredaktion von Radio SRF.

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Heute Morgen, 27.2.2023, 9 Uhr

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