Zum Inhalt springen

Gewalt in Sudan «Die Männer wurden hingerichtet» – in Darfur eskaliert die Lage

Arabische Milizen plündern und morden in der Region Darfur. Zehntausende flüchten ins Nachbarland Tschad. Dort sind die Hilfsorganisationen überfordert.

Ihre Mutter musste Nadia Mohammed Issa im Schutz der Dunkelheit begraben. «Tagsüber hätten Scharfschützen auf uns geschossen.» Darum ging es in der Nacht zum Friedhof.

Studentin Nadia Issa Mohammed in einem improvisierten Flüchtlingslager.
Legende: Die Studentin Nadia Issa Mohammed ist vor einer Woche in Adré angekommen. Sie lebt in einem improvisierten Flüchtlingslager. SRF/Samuel Burri

In Westdarfur kann sogar eine Beerdigung tödlich sein. Die 26-jährige Studentin lebte mit ihrer Familie in der Stadt al-Dschunaina. Arabische Milizen attackieren dort derzeit Angehörige anderer Ethnien. «Araber gegen Afrikaner», nennen es die Menschen.

Studentin Mohammed gehört zum Volk der Masalit. Sie suchte mit ihrer Mutter Schutz bei einer Schule, als Granaten einschlugen. Die Mutter verstarb im Spital.

Riskante Flucht

Nadia Mohammed hat überlebt und ist nun in Adré, einer Grenzstadt im Nachbarland Tschad. Die Flucht war kurz, nur 25 Kilometer, doch brandgefährlich. Milizen stoppten die Reisegruppe, erzählt die junge Frau: «Die Männer unserer Gruppe mussten sich der Reihe nach hinsetzen. Dann kam ein Junge mit Gewehr und erschoss einen nach dem andern.» Der Todesschütze sei kaum 12-jährig gewesen.

Karte der Grossregion Darfur
Legende: Die Grossregion Darfur im Sudan. SRF/Visual Design

Die Erzählungen der Geflüchteten aus Darfur gleichen sich. Es sind Geschichten von Hinrichtungen, Vergewaltigungen und Plünderungen. Laut UNO-Hilfswerk UNHCR sind in der Kleinstadt Adré binnen einer Woche rund 25'000 Menschen eingetroffen.

Überforderte Hilfsorganisation

Auf dem Gelände des Gymnasiums von Adré ist in den letzten Tagen ein Flüchtlingslager gewachsen. Die Geflüchteten bauen aus Tüchern und Ästen behelfsmässige Zelte. Diese schützen gegen die Sonne – doch nicht gegen den Regen. Es gibt wenig Trinkwasser, kaum Essen. Die Hilfsorganisationen sind ob der schieren Masse an Menschen überfordert.

Die 18-jährige Yasmin Abdallah baut ein Zelt für sich und ihre Familie.
Legende: Die 18-jährige Yasmin Abdallah baut ein Zelt für sich und ihre Familie. Sie ist mit ihrer Mutter, Geschwistern und ihrer Tochter geflüchtet. SRF/Samuel Burri

Sudan und der Darfur-Konflikt

Box aufklappen Box zuklappen

Laut Medienberichten sind in der Region Darfur seit April mehrere Tausend Menschen getötet worden. Die marodierenden Milizen kooperieren teilweise mit den Rapid Support Forces (RSF).

Die RSF bekämpfen in Sudans Hauptstadt die sudanesische Armee. Der Machtkampf zwischen den beiden Armeefraktionen hat bereits über zwei Millionen Menschen in die Flucht getrieben.

Im Schatten des Duells der machthungrigen Generäle ist in Darfur ein alter Konflikt wiederaufgeflammt: Es ist der Streit zwischen den vorwiegend arabischstämmigen Milizen und den dunkelhäutigen Ethnien, welche vor zwanzig Jahren für ihre Unabhängigkeit kämpften.

Sudans Machtvakuum hat dazu geführt, dass der Darfur-Konflikt neu entfacht worden ist.

Im Spital von Adré liegen die Verletzten in Zelten auf dem Boden. Das Bein von Abdelmadid Ibrahim Adam wurde mit einer Kartonschachtel notdürftig geschient und verbunden.

Abdelmadid Ibrahim Adam (rechts) in einem Zelt des Spitals von Adré.
Legende: Abdelmadid Ibrahim Adam (rechts) in einem Zelt des Spitals von Adré. Die Verletzungen werden mit Kartonstücken geschient. SRF/Samuel Burri

Der 30-Jährige hat einen Oberschenkeldurchschuss erlitten. «Natürlich ist das kein Zustand hier im Spital, doch ich habe keine Wahl.» Die Organisation Ärzte ohne Grenzen zählte über 900 Verletzte, welche innert weniger Tage ankamen.

Keine Rückkehr nach Darfur

Auch Englischlehrer Bechir Gamaraldin aus al-Dschunaina hat es ins sichere Tschad geschafft. Die arabischen Milizen hatten den Masalit erwischt und wollten ihn töten, wie er erzählt. «Ich sagte, ich sei ein Lehrer und würde in der Schule unsere Probleme nicht thematisieren. Ich kann nicht mal eine Waffe bedienen.»

Gamaraldin kam mit dem Leben davon. Zurück nach Darfur will er nicht mehr – wie die meisten der 140’000 neu angekommenen Flüchtlinge in Tschad. «Wir haben seit zwanzig Jahren nur Probleme, es reicht.»

Rendez-vous, 26.06.2023, 12:30 Uhr

Meistgelesene Artikel