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Gipfeltreffen in Hiroshima Sanktionen gegen Moskau: Ringen um die Gunst der ärmeren Länder

Die meisten Staaten der Welt tragen die Massnahmen gegen Russland nicht mit. Die G7 beraten darüber, was da zu tun sei.

Der Westen schafft es bis anhin offenkundig nicht, den Rest der Welt in der Ukrainefrage hinter sich zu scharen. Es ist deshalb wichtiger denn je, dass in Hiroshima neben den reichen und mächtigen G7-Mitgliedern weitere Länder eingeladen sind: Indien etwa, Indonesien, Brasilien oder die Afrikanische Union.

Gastgeber Japan biete sich an als Brückenbauer, sagt Hideaki Adachi, der Vizekabinettschef des japanischen Regierungschefs, gegenüber SRF.

Die westlichen Politiker wirken hilflos

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Chefs der G7 (Joe Biden fehlt).
Legende: Reuters

Bereits am ersten Gipfeltag beschlossen die G7-Staaten in Hiroshima, das Sanktionsregime gegen Russland zu verschärfen, Lücken zu schliessen, Umgehungswege zu versperren, den Druck auf Firmen und Staaten, die sich nicht daran halten, zu erhöhen. Zumindest im Prinzip: Was genau und wie genau, muss noch ausdiskutiert werden.

Dennoch gab sich Rishi Sunak, der britische Premierminister, zufrieden: «Die Sanktionen gegen Russland werden künftig wirksamer, der Preis für dessen illegales Tun steigt», sagte er. Und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte: «Wir werden weiter schauen, dass wir das Sanktionsregime so entwickeln, dass ihre Umgehung nicht möglich ist.»

Frustrierend bleibt indes, dass sich die Mehrheit der Staaten dieser Erde um die Sanktionen foutiert, etliche Länder sie gar hintertreiben. «Umso wichtiger ist es, allen zu erklären und sie davon zu überzeugen, dass Russland Unrecht tut», erklärte EU-Ratspräsident Charles Michel in Hiroshima. Als ob die Länder das nicht eh wüssten.

Und wie ein hilfloses Klagelied tönte es, als Michel beteuerte: «Die EU gibt sich so viel Mühe, Partnerschaften mit Drittwelt- und Schwellenländern aufzubauen. Und niemand richtet mehr Entwicklungsgelder aus als die Union und ihre Mitglieder.»

Was Adachi nicht sagt: Tatsächlich steht Japan weniger im Ruf, weltpolitisch arrogant aufzutreten als die USA. Und anders als die europäischen Mächte hat es in Afrika, Lateinamerika und im Nahen Osten keine koloniale Vergangenheit.

Wir wollen den ‹globalen Süden› einbinden.
Autor: Hideaki Adachi Vizekabinettschef des japanischen Regierungschefs

«Wir wollen den ‹globalen Süden› einbinden», sagt Adachi: «Dafür muss man zuhören können und dessen Anliegen kennenlernen.» Deshalb besuchte Japans Premierminister Fumio Kishida vor dem Gipfel Indien und mehrere afrikanische Hauptstädte.

Der Süden hat eigene Sorgen

Es sei zu respektieren, dass Länder des Südens, die im Ukrainekonflikt auf Tauchstation gingen, eigene und andere Sorgen und Anliegen hätten. Ernährungs- und Energiesicherheit, Klimaschutz oder Gesundheitsversorgung. Da wollten sie vollberechtigt mitreden und nicht wie bisher oft auf G7-Gipfeln bloss am Katzentisch geduldet sein.

Zumal China, das die westliche Dominanz brechen will, diesen Ländern viel zu bieten hat: Einen riesigen Absatzmarkt für Rohstoffe, Investitionen – und das ohne Moralpredigten, wie sich die Regierungen punkto Demokratie und Menschenrechte zu verhalten haben.

Man muss für diese Länder nicht ‹gut›, sondern vielmehr nützlich sein.
Autor: Hideaki Adachi Vizekabinettschef des japanischen Regierungschefs

Es reiche auch nicht, diesen Ländern zu sagen: «Wir sind die Guten.» Adachi: «Man muss für sie nicht ‹gut›, sondern vielmehr nützlich sein. Nur dann gelingt eine engere Kooperation.»

Nachhaltige Partnerschaften als Ziel

Japan erprobt das gerade am Beispiel von Sri Lanka. Das Land hat sich gegenüber China abgrundtief verschuldet. Japan, der zweitgrösste Investor, will ihm nun beistehen. Mit der Hoffnung im Hinterkopf, die Regierung wieder ins freiheitlich-demokratische Lager zu locken.

Dazu sagt Adachi: «Angesichts der gewaltigen aktuellen Herausforderungen braucht der Westen Rückhalt in diesen Ländern gegen die verbündeten Autokratien China und Russland. Das gelingt nur mit nachhaltigen Partnerschaften.»

Wieso nicht eine neue G15?

Daraus leitet Professor John Kirton von der Universität Toronto, der seit Jahrzehnten über internationale Gipfeltreffen forscht, ab: Wieso nicht dauerhaft grosse Demokratien wie Brasilien, Indien, Indonesien, Südafrika oder die Türkei einbinden in den G7-Klub der Mächtigen und aus diesem eine G15-Gruppe machen?

Man könnte bloss harte Autokratien wie China, Russland oder Saudi-Arabien nicht in einen erweiterten G7-Kreis hereinlassen.
Autor: John Kirton Professor Universität Toronto

Die G20-Gruppe, in der diese Staaten bereits vertreten sind, sei wegen der geopolitischen Spannungen momentan ohnehin beschlussunfähig: «Man könnte also dort die mehr oder minder demokratischen Staaten herauslösen und bloss harte Autokratien wie China, Russland oder Saudi-Arabien nicht in einen erweiterten G7-Kreis hereinlassen.»

Neue Ideen und vor allem neue Taten sind gefragt.

Der Westen mag seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wieder geeinter sein als all die Jahre davor. Doch selbst seine geballte Macht reicht offenkundig bei Weitem nicht, um Russlands aggressivem Treiben ein Ende zu setzen.

Echo der Zeit, 19.5.2023, 18:00 Uhr

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