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Grenze Polen-Belarus Frierende Migranten als Spielball – wie wird die EU reagieren?

Die Instrumentalisierung von Migranten durch Machthaber Lukaeschenko setzt die EU unter Druck. Neue Sanktionen stehen im Raum.

Die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze bleibt angespannt. Hunderte Migrantinnen und Migranten harren weiterhin an der Grenze in der Kälte aus. Die Europäische Union beschuldigt Belarus, gezielt Migranten und Migrantinnen nach Polen zu schleusen.

Bislang fehlt allerdings eine koordinierte Reaktion der EU. Eine Möglichkeit wären neue Sanktionen. Heute wird in Brüssel darüber beraten, am Montag treffen sich auch die EU-Aussenminister.

Auch Luftverkehr im Visier

Im Raum stehen etwa weitere Sanktionen gegen Personengruppen, die für die Migrationsbewegungen mitverantwortlich gemacht werden, wie Astrid Corall sagt. Sie ist ARD-Korrespondentin in Brüssel. Ebenso könnten Leute, die für Menschenrechtsverletzungen in Belarus verantwortlich sind, ins Visier der EU geraten.

 Zugleich gibt es auch Forderungen, die bereits in einigen Teilen verhängten Wirtschaftssanktionen auszuweiten.

Strafmassnahmen könnten auch die staatliche belarussische Fluggesellschaft Belavia treffen. Sie dürfte dann keine Maschinen mieten, zum Beispiel von europäischen Unternehmen etwa in Dänemark oder Irland. Auch Sanktionen gegen Fluggesellschaften in Drittstaaten werden diskutiert. Oder gegen Reiseveranstalter, mit deren Hilfe die Migranten überhaupt in die Hauptstadt Minsk gelangen.

Auch Sanktionen gegen Fluggesellschaften in Drittstaaten und gegen Reiseveranstalter werden diskutiert.
Autor: Astrid Corall ARD-Korrespondentin, Brüssel

Kein Gehör für russische Vorschläge

Der Vorschlag des russischen Aussenministers Sergej Lawrow, an Belarus Zahlungen zu leisten, ist in Brüssel derzeit keine Option, wie Corall sagt. Die EU versuche im Gegenteil, die Schrauben anzuziehen. Weitere Sanktionen stünden im Vordergrund.

Die EU versucht, die Schrauben anzuziehen. Weitere Sanktionen stehen im Vordergrund.
Autor: Astrid Corall ARD-Korrespondentin, Brüssel

Das von Lukaschenkos Taktik bisher am meisten betroffen Land Polen fährt bisher eine harte Linie an der Grenze. Grundsätzlich sei in Brüssel viel Unterstützung für Polen zu hören, sagt Corall. Es gebe auch Solidaritätsaufrufe.

Die Kritik richte sich klar an Belarus, Menschen gezielt aus Krisenregionen einzufliegen, um sie dann an die Grenze zur EU zu bringen und damit Polen, aber auch Litauen und Lettland unter Druck zu setzen. Von einem «hybriden» Angriff sei hier oft die Rede und von einer Instrumentalisierung dieser Menschen.

Grenzschutz und Grundrechte

Die EU-Kommission betont aber auch immer wieder, dass der Schutz der gemeinsamen EU-Grenzen sehr wichtig sei, so Corall. Dabei müssten auch die Grundrechte und die europäischen Werte beachtet werden. Dazu gehört das Recht für Menschen, einen Asylantrag zu stellen, sobald sie den Boden eines EU-Landes betreten haben. Ebenso wird aber vermutet, dass Polen die Menschen zurückweist.  

Merkel bittet Putin um Eingreifen

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Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Russlands Präsidenten Wladimir Putin angesichts der dramatischen Lage der Migranten an der belarussisch-polnischen Grenze gebeten, Einfluss auf die autoritäre Regierung in Minsk zu nehmen. Merkel habe in einem Telefonat mit Putin am Mittwoch unterstrichen, dass die Instrumentalisierung von Migranten gegen die Europäische Union durch Machthaber Alexander Lukaschenko unmenschlich und vollkommen inakzeptabel sei, teilte der Regierungssprecher in Berlin mit. Merkel habe Putin gebeten, «auf das Regime in Minsk einzuwirken».

Die polnische Regierung und die EU werfen Lukaschenko vor, gezielt Menschen aus Krisenregionen einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die EU eine widersprüchliche Haltung hat und einzelne Mitgliedsländer mit der Grenzproblematik kämpfen. Müsste Brüssel Warschau nicht konkreter unterstützen? Brüssel verweise immer darauf, dass Polen ganz konkrete Hilfe angeboten werde mit den verschiedenen Organisationen, so Corall.

Polen will keine Hilfe

Gemeint sei damit, dass Beamte der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex, der Europäischen Asylagentur oder der Polizeibehörde Europol nach Polen geschickt werden könnten, um die Behörden vor Ort zu unterstützen. Etwa bei der Registrierung von Migranten und der Bearbeitung von Asylanträgen.

Nur hat Polen diese Hilfe noch nicht angefordert, was bei vielen auf Unverständnis stösst. Dies hat natürlich auch die Vermutung weiter erhärtet, dass sich die Regierung in Warschau nicht von Brüssel hereinreden lassen will, wie man mit Migranten umgeht.

SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky zur Lage im Grenzgebiet:

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Der Druck an der Grenze zu Polen steigt mit den Andrang von Migranten aus Belarus weiter. Die polnischen Behörden reagierten zunehmend angespannt, berichtet SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky, die zurzeit unweit der Grenze in Ostpolen auf Reportage ist. Bei einem kürzlich aufgebauten Militärlager seien sehr viele Soldaten und Sondereinheiten der polnischen Grenzwacht unterwegs.

Was die Dutzenden Migranten betrifft, die es am Dienstag nach Polen schafften, so wurden sie laut den polnischen Behörden grösstenteils nach Belarus zurückgeschickt. Ein genaueres Bild sei nicht möglich, da Medienschaffende spätestens drei Kilometer vor der Grenze gestoppt würden, so Tschirky. Es sei aber wahrscheinlich, dass sich noch Migranten in den Wäldern versteckten, um nach Deutschland oder Schweden weiterzureisen.

Tschirky berichtet von Gesprächen mit Migranten, wonach belarussische Grenzbeamte ihnen zum Teil günstige Grenzübergänge zeigten und auch Geräte zum Durchschneiden von Zäunen zur Verfügung stellten. Teilweise wurden auch Bäume gefällt, um die Anlagen niederzudrücken, wie offizielle polnische Bilder zeigten.

Die Versorgungslage der Menschen, die zum Teil mehrere Wochen im Freien ausharrten, ist prekär. Die nächtlichen Temperaturen sind tief. Hilfe von zivilen Gruppierungen gelange wohl nur sehr schwer zu ihnen, vermutet Tschirky.

SRF 4 News aktuell, 10.11.2021, 08:20 Uhr ; 

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