Letzte Woche haben IS-Kämpfer im Nordosten Syriens ein Gefängnis überfallen. Bis am Mittwoch brauchten syrisch-kurdische Streitkräfte mit US-Unterstützung, um die Lage wieder einigermassen unter Kontrolle zu bringen. Insgesamt kamen mehr als 160 Menschen ums Leben.
Es war der grösste IS-Angriff seit 2017, und er weckte böse Erinnerungen: Mit Angriffen auf Gefängnisse wie in der Stadt Hasaka hatte der IS 2014 die Eroberung grosser Teile Syriens und des Irak begonnen. Der jüngste IS-Anschlag sei eine Warnung – auch an Europa, meint der Vizedirektor des Kurdischen Roten Halbmonds in Nordsyrien.
Ersthilfe für alle – auch Terroristen
Das Personal des Kurdischen Roten Halbmondes war in den letzten Tagen gefordert. Rund 100 IS-Kämpfer verschafften sich mit zwei Autobomben Zugang zu einem Gefängnis in der nordsyrischen Stadt Hasaka. Dort wollten sie inhaftierte Anhänger befreien, und in der Stadt Terror verbreiten.
Der Kurdische Rote Halbmond sei mit 14 Ambulanzen aufgeboten worden, erzählt Sherwan Bery; er arbeitet seit acht Jahren für die Hilfsorganisation. Bevor er Vizedirektor wurde, war er Sanitäter.
«Die Behörden sagten uns, im Gefängnis befänden sich 5000 inhaftierte IS-Mitglieder aus aller Welt mitsamt ihrer Kinder.» Beim Sturm auf das Gefängnis seien IS-Mitglieder geflüchtet, andere hätten im Gefängnis Geiseln genommen. Es kam zu heftigen Kämpfen zwischen den IS-Kämpfern und dem Militärbündnis der Demokratischen Syrischen Kräfte, die viele Dutzende von Toten und Verletzten forderten. Menschen aus dem Quartier, in dem das Gefängnis steht, wurden evakuiert oder flüchteten vor der Gewalt.
Stellen Sie sich vor, der IS hat Ihre Familienangehörigen oder Bekannte umgebracht – und nun müssen Sie einen verwundeten IS-Anhänger behandeln.
Das sei für die Sanitäterinnen und Sanitäter auch eine persönliche Belastung gewesen, sagt Sherwan Bery. «Ein grosser Teil unseres Personals wohnt in diesem Quartier und sie bangten um ihre Familien. Dann haben wir Mitarbeitende, deren Angehörige vom IS getötet wurden.»
Der Kurdische Rote Halbmond arbeite zwar nach den Prinzipien des Internationalen Roten Kreuzes und behandle alle Verletzten. Für die Mitarbeitenden sei das nicht einfach. «Stellen Sie sich vor, der IS hat Ihre Familienangehörigen oder Bekannte umgebracht – und nun müssen Sie einen verwundeten IS-Anhänger behandeln.»
Eine Warnung auch an den Westen
Sherwan Bery erzählt das, weil er sieht, dass die kurdischen Autonomieregionen in Syrien und im Irak mit dem IS nicht alleine fertigwerden. Das habe die tagelange Schlacht um das nordsyrische Gefängnis erneut gezeigt. «Nach mehr als zehn Jahren Krieg ist die lokale Bevölkerung traumatisiert und kann nicht mehr.» Mit Tausenden von IS-Anhängern in überfüllten Gefängnissen und Lagern in der Region, wo sie ihre Kinder mit ihrer fanatischen Ideologie indoktrinierten, komme es immer wieder zu solchen Ereignissen wie diesem Überfall.
Zwar haben die Sicherheitskräfte inzwischen wieder die Kontrolle über das Gefängnis erlangt. Aber wie viele IS-Mitglieder ausgebrochen seien, wisse niemand.
Kurdischer Roter Halbmond bittet um Hilfe
Immer wieder bitte die kurdische Autonomieregierung in Nordsyrien den Westen um Hilfe, aber mit der Repatriierung einiger IS-Kinder sei es nicht getan, sagt der Vizedirektor des kurdischen Roten Halbmondes. «Es braucht Programme, um diese IS-Anhänger von ihrer Ideologie loszubringen. Das braucht Geld und Zeit. Alleine schaffen wir das nicht.»
Ohne solche Bemühungen bleibe der IS gefährlich: und destabilisiere nicht nur die Region, sondern sei auch eine Gefahr für den Westen.