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Grösstes Erdwärmenetz der EU Geothermie in Ungarn: «Wir heizen die halbe Stadt mit Erdwärme»

Die ungarische Stadt Szeged hat neu das grösste Erdwärmenetz der EU. Ein Vorbild für viele andere Städte.

Manchmal sind gute Veränderungen solche, von denen man nichts merkt. «Meine Wohnung ist so warm wie eh und je», sagt Agnes Török, die in Szeged, der drittgrössten Stadt Ungarns, in einem Plattenbau lebt.

Aber im Kopf habe die Umstellung von Gas auf Erdwärme schon etwas verändert. Die Buchhalterin ist stolz, dass ihre Stadt heute europaweit eine Vorreiterin ist bei der umweltfreundlichen Geothermie.

27'000 Wohnungen werden mit Erdwärme geheizt

«Durch dieses rote Rohr kommt das heisse Thermalwasser. Durch das blaue Rohr pumpen wir das Wasser wieder zurück unter die Erde», erklärt der Geologe Tamas Medgyes in einem der 16 Heizkraftwerke Szegeds.

Keine Gefahr von Erdbeben

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Weil in Szeged bereits existierende unterirdische Wasserreservoire angezapft werden, gibt es kein seismisches Risiko.

Das Entscheidende passiert dazwischen. Mit dem gut 90 Grad warmen Thermalwasser, hochgepumpt aus 2000 Metern Tiefe, wird in Boilern jenes Wasser erhitzt, das dann im Fernwärmenetz von Szeged zirkuliert. «Wir heizen ungefähr die halbe Stadt mit Erdwärme. Rund 27'000 Wohnungen», sagt Medgyes. Mehr als irgendwo sonst in der Europäischen Union.

Die Leitungen dafür haben die Kommunisten gebaut. Sie setzten in vielen osteuropäischen Städten auf billiges Gas aus der Sowjetunion und auf Fernwärme. 250 Kilometer Rohre verbinden in Szeged die kleinen Heizkraftwerke mit Plattenbausiedlungen.

Sechzig Prozent weniger CO₂-Ausstoss

In Spitzenzeiten, wenn es besonders kalt ist, oder am Morgen, wenn alle um dieselbe Zeit warm duschen, brauche es zwar noch immer Gas, um genügend Wärme zu erzeugen. Aber es brauche viel weniger. Die erfreuliche Folge: Die Heizkraftwerke von Szeged stossen heute viel weniger Treibhausgase aus als vor der Umstellung. «Minus sechzig Prozent beim CO₂. Das ist doch beachtlich», sagt Medgyes, der das Projekt von Anfang an mitgestaltet hat.

Was wir hier in Szeged gemacht haben, ist auch in anderen Städten machbar.
Autor: Tamas Medgyes Geologe

Gekostet hat der Umstieg von Gas auf Erdwärme rund 70 Millionen Franken. Das Geld kam von der Europäischen Union und von einem privaten Investor. Der rechnet damit, dass er schon in wenigen Jahren Gewinn macht mit seiner Investition.

Zum Umweltschutz kommt die Versorgungssicherheit

Doch Rentabilität und Klimaschutz sind nicht die einzigen Vorteile der Erdwärme. Sie macht Szeged auch weniger abhängig von Gas aus Russland – Gas, das seit dem russischen Angriff auf die Ukraine deutlich teurer geworden ist. Geologe Medgyes sagt: «Wir starteten als Umweltschutzprojekt. Unser Ziel war sauberere Luft in Szeged. Aber heute garantiert die Erdwärme durch die grössere Unabhängigkeit von russischem Gas auch Versorgungssicherheit.»

Porträt eines Mannes.
Legende: Der Geologe Tamas Medgyes sagt: «Was als Umweltprojekt begonnen hat, ist mit dem Ukrainekrieg zu einem Projekt der Versorgungssicherheit geworden.» SRF / Roman Fillinger

Das ist mit ein Grund für das grosse internationale Interesse am Erdwärmeprojekt der Stadt Szeged. Praktisch jede Woche begrüsse er eine Delegation aus irgendeiner europäischen Stadt, sagt Medgyes. Er ist überzeugt: «Was wir hier in Szeged gemacht haben, ist auch in anderen Städten machbar.»

Experten schätzen, dass rund ein Viertel der europäischen Bevölkerung in Gegenden lebt, die sich für solche Heizsysteme mit Erdwärme eignen.

Rendez-vous, 12.01.2024, 12:30 Uhr;kobt

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