«Wir könnten zweistellig wachsen, wenn ich morgen 100 IT-Spezialisten einstellen könnte», sagt Alison Ross. Sie ist in der Geschäftsleitung von Autotrader – der grössten Online-Plattform für Gebrauchtwagen im Vereinigten Königreich.
Das Unternehmen macht gegenwärtig rund 433 Millionen Pfund Umsatz, wächst jährlich um etwa 8 Prozent, hat an der Londoner Börse einen Marktwert von 5.5 Milliarden Pfund und beschäftigt 960 Angestellte. «Es läge noch viel mehr drin», meint Alison Ross, «doch leider finde ich nicht genügend erfahrende Software-Spezialisten.» Studienabgängerinnen und -abgänger gebe es viele. «Doch wir brauchen Leute mit drei, vier Jahren Erfahrung.»
Und am Lohn liegt es nicht: Autotrader bietet einen durchschnittlichen Jahreslohn von 60'000 bis 80'000 Pfund – für eine erfahrene Software-Entwicklerin. Das ist fast das Doppelte, was im Landesdurchschnitt bezahlt wird.
Die Erwerbsquote sinkt
Während der Pandemie haben rund 300'000 Menschen im erwerbsfähigen Alter den Arbeitsmarkt verlassen und sind nicht wieder zur Arbeit zurückgekehrt. Das zeigt eine Auswertung des nationalen Büros für Statistiken.
Dafür gibt es zwei Hauptgründe. Einerseits sind die Frühpensionierungen während Corona stark gestiegen. Andererseits hat die Zahl der Menschen, die unter einer chronischen Krankheit leiden oder auf einen Eingriff warten, deutlich zugenommen.
Rund 370'000 Menschen warten seit mehr als einem Jahr auf eine Behandlung und sind krankgeschrieben. Die Wartezeiten im öffentlichen Gesundheitswesen NHS haben sich seit der Pandemie vervielfacht.
Und sie werden nicht kürzer, weil sich überdurchschnittlich viel Arztpersonal frühpensionieren lassen hat. Zudem haben viele Pflegekräfte dem Gesundheitswesen den Rücken gekehrt.
Tiefer Beschäftigungsgrad bremst Wachstum
«Inaktivität ist eine der grössten Herausforderungen für unsere Wirtschaft», so das Büro für Budgetverantwortung, welches die Regierung in Finanzfragen berät. «Es bremst das Wachstum und treibt die Inflation hoch.»
Denn auf einem ausgetrockneten Arbeitsmarkt steigen die Löhne überdurchschnittlich stark, was die Inflation antreibt und den Produktionsstandort unattraktiver macht. Die Regierungsberater empfehlen: Verringerung der Wartezeiten und Zahl der Langzeitkranken im Gesundheitswesen.
Junge Mütter und Frühpensionierte zurückholen
Die Regierung kennt das Problem. Doch eine schnelle Lösung gibt es nicht. Im neuen Budget vom 15. März hat sie Anreize für zwei Gruppen eingebaut: Mütter sollen nach der Geburt die Arbeit früher wieder aufnehmen – und bekommen pro Woche 30 Stunden Kinderbetreuung finanziert. Allerdings erst ab 2025.
Und für Menschen über 60 soll sich längeres Arbeiten lohnen – mit Steueranreizen beim Altersguthaben. Und Steuernachteilen, wer schon ab 60 in Rente gehen und sein Guthaben herauslösen will. So sollen Frühpensionierungen reduziert werden.
Das Potenzial an weissen jungen Männern ist ausgeschöpft.
Alles schön und gut, sagt Alison Ross vom Onlinehändler für Gebrauchtwagen Autotrader. Doch so sei das Rekrutierungsproblem des schnell wachsenden Tech-Sektors Grossbritanniens nicht zu lösen.
Man müsse bei der Bildung in der Volksschule ansetzen: «Wir müssen auch Mädchen und Kinder mit Migrationshintergrund für technische Themen begeistern. Das Potenzial an weissen jungen Männern ist ausgeschöpft.»