Es gibt eine Grundregel in der deutschen Politik: Grosse Koalitionen stärken die politischen Ränder. Seit 2013 regiert Angela Merkel mit einer grossen Koalition von CDU/CSU und SPD, die im Bundestag eine Mehrheit von 80 Prozent der Sitze hat. Eine ernstzunehmende Opposition gibt es nicht. Was die Koalition beschliesst, wird umgesetzt. Die Mehrheit ist so gross, dass auch Widerstand innerhalb der Koalition nicht ins Gewicht fällt.
Was hat Martin Schulz damit zu tun? Wer mit der Politik der Grossen Koalition nicht einverstanden ist, sucht sich eine Alternative ausserhalb des Parlaments. Und die Alternative, die am lautesten schreit, ist die «Alternative für Deutschland» (AfD). In den letzten Wochen hat sich das grosse Bild plötzlich geändert. Der Grund ist SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz . Die SPD hat in den Umfragen zum Teil CDU und CSU schon überholt, das heisst, ein Wahlsieg ist nicht ausgeschlossen. Und Martin Schulz grenzt sich von der grossen Koalition ab. Er ist eine Alternative zu Merkel. Schulz schwächt die AfD.
Der Rechtsextremismus-Konflikt in der AfD ist kein Grund: Zur Zeit tobt ein Kampf zwischen den Flügeln der Partei; es geht darum, ob der thüringische AfD-Chef Björn Höcke wegen rechtsextremer Aussagen aus der AfD ausgeschlossen wird. Doch das gehört zum Konzept (siehe unten). Die AfD lebt davon, durch Provokationen im Gespräch zu bleiben. Und auch der innerparteiliche Kampf spaltet die Partei vorläufig nicht, sondern mobilisiert die Anhänger beider Flügel maximal. Die AfD macht also eine Gratwanderung. Solange sie den Bogen nicht überspannt, solange das Bundesverfassungsgericht und der Bundesverfassungsschutz gerät, sie nicht als «verfassungsfeindlich» einstufen und solange sich die Partei nicht selbst spaltet, lebt sie sehr gut von diesem innerparteilichen Streit.
Auszüge aus einem Strategiepapier der AfD:
- «Die AfD lebt gut von ihrem Ruf als Tabubrecherin und Protestpartei.»
- Die AfD müsse «ganz bewusst und gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein und vor sorgfältig geplanten Provokationen nicht zurückschrecken».
- Differenzierte inhaltliche Vorschläge, welche «die Wähler überfordern» seien im Wahlkampf kein Thema.