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Bild 1 von 9. Der 29. Januar markiert den bisherigen Höhepunkt in der politischen Karriere von Martin Schulz. Der SPD-Vorstand ernennt ihn zum Kanzlerkandidaten. Es ist wie ein Weckruf für die Partei. Laut Umfragen hat der 61-Jährige reelle Chancen, ins Kanzleramt einzuiehen. Seinen Weg begann Martin Schulz vor dreissig Jahren in einer Kleinstadt tief im Westen. Bildquelle: Reuters.
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Bild 2 von 9. Martin Schulz wird 1987 Bürgermeister seiner Heimatstadt Würselen. Der 31-Jährige ist damals der jüngste Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen. Zuvor hat er ein bewegtes Leben geführt. Er bricht das Gymnasium nach der Mittleren Reife ab, lernt Buchhändler und überwindet Alkoholprobleme. Der Stadt steht er bis 1998 vor, doch ab 1994 muss er pendeln. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 9. Schulz (l. mit José Manuel Barroso) pendelt vier Jahre lang zwischen Würselen und Strassburg. Denn ab 1994 sitzt er im EU-Parlament. Die Doppelfunktion sei der grösste Fehler seines politischen Lebens gewesen, heisst es im «Tagesspiegel». Als Bürgermeister habe er die Bindung zum Bürger verloren. In Strassburg macht sich Schulz nicht nur Freunde. Bildquelle: Reuters.
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Bild 4 von 9. Da wäre zum Beispiel Silvio Berlusconi. 2003 sieht sich der damalige Ministerpräsident Italiens einigen scharfen Fragen des Parlamentariers Schulz ausgesetzt. Berlusconi platzt irgendwann der Kragen und empfiehlt Schulz die Rolle als KZ-Aufseher in einem Nazi-Film. Es ist nicht der einzige Disput um Schulz. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 9. Nächster Eklat, nächster «Nazi»-Spruch: 2010 brüllt Euro-Skeptiker Godfrey Bloom «ein Volk, ein Reich, ein Führer» in den Plenarsaal – während einer Rede von Martin Schulz. Der britische Angeordnete muss daraufhin den Saal verlassen. Derweil macht Schulz den nächsten Schritt auf der Karriereleiter – und einen mächtigen Fürsprecher hat er auch. Bildquelle: Reuters.
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Bild 6 von 9. Martin Schulz wird 2012 Präsident des Europäischen Parlaments. Mit dem aktuellen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker verbinde Schulz eine Männerfreundschaft, die beide gerne zur Schau gestellt hätten, so SRF-Korrespondent Sebastian Ramspeck. 2014 wollte Schulz eigentlich selber Kommissionspräsident werden, verlor aber bei er Europawahl. Bildquelle: Reuters.
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Bild 7 von 9. Am 24. November 2016 tritt Martin Schulz als EU-Parlamentspräsident zurück. Er will in die deutsche Innenpolitik. Im Schattenkabinett des erwarteten SPD-Kanzlerkandidaten Sigmar Gabriel (hinten) ist er als Aussenminister favorisiert. Doch es kommt anders. Gabriel verzichtet zugunsten von Schulz. Der begeistert, aber für was steht er eigentlich? Bildquelle: Reuters.
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Bild 8 von 9. Ein politisches Programm von Martin Schulz ist bisher kaum auszumachen. Auf EU-Ebene steht er für die Stärkung der europäischen Institutionen und die Schaffung einer EU-Regierung. Innenpolitisch will er Teile der Arbeitsmarktreform «Agenda 2010» ändern. Das ist noch nicht viel. Für Angela Merkel eröffnen sich dadurch neue Chancen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 9. Wenig Programm und Teil des unpopulären EU-Apparats: Auf diese vermeintlichen Schwächen von Schulz könnte sich Merkel fokussieren. Wenn man von aktuellen Umfragen ausgeht, muss sie Schulz in jedem Fall fürchten. Das letzte Wort haben ohnehin die deutschen Wähler am 24. September. Dann heisst es Merkel oder Schulz – oder doch jemand anders? Bildquelle: Keystone.
MEGA steht auf den Plakaten der Anhänger von Martin Schulz. MEGA – das steht für «Make Europe great again». Eine selbstironische Botschaft in Richtung derjenigen, die im neuen SPD-Hoffnungsträger nichts weiter als einen Populisten sehen.
Die Botschaft gilt demnach auch dem deutschen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Dieser hatte in einem Interview mit dem «Spiegel» (Ausgabe 7/2017, Anm. d. Red.) einen Vergleich zwischen Schulz und Trump gezogen. «Die Art, wie er (Schulz, Anm. d. Red.) populistisch die angebliche Spaltung der Gesellschaft beschwört, folgt der postfaktischen Methode des US-Wahlkampfs.» Populist oder ehrliche Haut? An Martin Schulz scheiden sich die Geister. Das hat vor allem mit seiner Vita zu tun. Es ist ein Leben zwischen ‹denen da unten und denen da oben›.
Ein Star in der Provinz
Martin Schulz hat ein Leben vor der Politik gelebt. Es begann und endete in der Kleinstadt Würselen im Westen Deutschlands nahe der niederländischen Grenze. Aus dem Schulabbrecher mit Alkoholproblemen wurde dort 1987 der jüngste Bürgermeister im gesamten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Schulz war damals gerade einmal 31 Jahre alt.
In seine Amtszeit fällt die Ansiedlung von Gewerbe, aber auch das finanzielle Fiasko mit einem Spassbad, wie der «Tagesspiegel» am 6. Februar berichtet. Ausserdem soll er sich für Kindertagesstätten stark gemacht haben. Lokale Politik jenseits politischer Programmatik.
Auch über eine markante Eigenschaft von Schulz berichtet die Zeitung. «Man erfährt, dass er aus dem Stegreif Reden halten kann, von denen andere denken, sie seien vom Blatt abgelesen, so geschliffen sind die Formulierungen. Uralte Geschichten könne er so witzig erzählen, dass sich niemand langweilt», zitiert der «Tagesspiegel» Weggefährten von Schulz.
Ein Draufgänger, einer, der Dinge anreisst.
SRF-Korrespondent Sebastian Ramspeck hat in Brüssel mehrfach mit Martin Schulz zu tun gehabt. «Schulz ist sehr eloquent, er findet die richtigen Worte», bestätigt er die Redegewandtheit des SPD-Politikers. Aber er sei eben auch «sehr zielstrebig, ein Draufgänger, einer, der Dinge anreisst».
Anreissen oder besser an sich gerissen hat Martin Schulz vor allem die grosse internationale Politik. «Martin Schulz hatte als EU-Parlamentspräsident letztlich einen Job als Sitzungsleiter. Doch mehr als jeder seiner Vorgänger hat er aus dem Präsidium ein politisches Amt gemacht. Er hat als Parlamentspräsident für eine starke EU gekämpft», erklärt Ramspeck. Jean-Claude Juncker, Donald Tusk und eben Martin Schulz – das sind die Gesichter der EU.
Martin Schulz ist dermassen omnipräsent, dass es eigentlich mindestens zwei geben muss.
Und: «Schulz zelebriert seine Macht», sagt Ramspeck. «Er ist zum Beispiel häufig von vielen Bodyguards umgeben, mehr als Juncker, wie mir scheint.» In diesem Umfeld gären Witze. «Viele Parlamentarier werfen Schulz vor, er habe mehr an seine Karriere als an das Parlament gedacht. In Brüssel gibt es ein Bonmot zu Martin Schulz: ‹Schulz und Schulz› – angelehnt an die Figuren ‹Schulze und Schultze› aus den Tim-und-Struppi-Comics. Denn Martin Schulz ist dermassen omnipräsent, dass es eigentlich mindestens zwei geben muss.»
Mit Juncker verbinde Schulz übrigens eine Art «Männerfreundschaft», sagt Ramspeck. Beide hätten politische Geschäfte untereinander ausgekungelt. Dass Schulz zum Establishment der EU gehört, mache ihn angreifbar, so Ramspeck.
Zudem packt der «Spiegel» (Ausgabe 7/2017) eine unschöne Geschichte über Markus Engels, den designierten Wahlkampfmanager von Schulz, aus. Engels soll von Schulz auf fragwürdige Art Posten bei der EU erhalten haben und mit der Abrechnung seiner Dienstreisen soll er es auch nicht so genau genommen haben. Eine Reaktion des SPD-Politikers zu diesen Vorwürfen ist im betreffenden Beitrag nicht erwähnt.
Beliebter als Merkel
Allen Vorwürfen zum Trotz hat Schulz in Strassburg tatsächlich an seinem politischen Profil gefeilt. Er gilt als jemand, der die europäischen Institutionen stärken möchte, sogar eine europäische Regierung unter Kontrolle des EU-Parlamentes anstrebt. Mit seinem Parteikollegen Sigmar Gabriel hat er dazu sogar einen Zehn-Punkte-Plan entworfen. Jener Sigmar Gabriel, der eigentlich die SPD in den Bundestagswahlkampf führen sollte, stattdessen aber verzichtete. Zugunsten jenes Mannes, der so begnadet reden kann.
Offenbar ein gelungener Schachzug der SPD. Schon kurz nach der Bekanntgabe von Schulz' Kanzlerkandidatur geschahen Dinge, von denen man glaubte, sie seien nahezu unmöglich. Ein paar tausend Bürger sind neu der SPD beigetreten und Umfragen attestieren den Sozialdemokraten, gleichauf mit Merkels CDU zu liegen.
Bei einer Direktwahl wäre der SPD-Kandidat der Amtsinhaberin sogar laut ZDF-Politbarometer vom 17. Februar deutlich überlegen. Dort liegt die Zustimmungsrate für Schulz bei 49 Prozent, Amtsinhaberin Merkel kommt auf 38 Prozent. Für jemanden, der politisch kaum zu fassen ist, sind das Top-Werte. Immerhin: Innenpolitisch hat Martin Schulz mit seiner Ankündigung einer Überarbeitung der Arbeitsmarktreform 2010 nun eine erste Duftmarke gesetzt.