Die russische Armee ist in der Ostukraine auf dem Vormarsch – langsam, aber stetig stossen Truppen weiter gegen Westen vor. Ein Grund neben der fehlenden Munition der Ukrainer ist, dass die ukrainische Armee offenbar nicht auf den Verlust Awdijiwkas vorbereitet war und erst vor kurzem damit begonnen hat, neue Verteidigungslinien weiter westlich zu erstellen.
Man hat den Eindruck, dass die russische Armee vor den anstehenden Präsidentenwahlen vorzeigbare Erfolge haben will.
«Die russische Armee wirft extrem viele Soldaten und Material an die Front. Man hat den Eindruck, dass sie vor den anstehenden Präsidentenwahlen in Russland vorzeigbare Erfolge haben will», sagt Judith Huber. Sie beschäftigt sich bei Radio SRF mit der Ukraine und hat das Land erst kürzlich besucht.
Granaten-Produktion läuft nur langsam an
Während die Russen von Nordkorea mit mutmasslich Hunderttausenden von Granaten und von Iran mit Raketen und Drohnen beliefert worden sind, kommt von den westlichen Verbündeten der Ukraine derzeit praktisch nichts mehr: Die Europäer haben ihre Munitionsvorräte grösstenteils bereits an die Ukraine abgegeben und die Produktion von neuen Granaten kommt nur langsam in die Gänge.
Ein weiteres Problem für die Ukrainer ist, dass sie viel zu spät damit begonnen haben, westlich von Awdijiwka – das übrigens seit 2014 in ukrainischer Hand und stark befestigt war – neue Verteidigungslinien zu bauen. Es gibt in dem weiten und flachen Gelände kaum Panzersperren, befestigte Schützengräben und Minenfelder, um die Russen aufzuhalten.
Bau von Verteidigungslinien versäumt
Ein Grund für dieses Versäumnis sieht Judith Huber darin, dass die ukrainische Führung letzten Sommer viel Hoffnung und Optimismus in die damals angekündigte Sommeroffensive setzte: «Es passte nicht zu diesem Optimismus, gleichzeitig im Hinterland Schützengräben, Panzersperren und Bunker zu bauen.» Man habe wohl befürchtet, man würde sonst die Moral der Ukrainerinnen und Ukrainer schwächen.
Hinzu kommt, dass der Bau solcher befestigter Anlagen enorme Ressourcen verschlingt, über welche die Ukraine entweder nicht verfügt hat oder in die Sommer-Offensive werfen wollte. «Hinzu kamen zuletzt Meinungsverschiedenheiten zwischen der militärischen und politischen Führung – deshalb hat man nicht entschlossen und schnell genug gehandelt», so Huber.
Erfolgreicher sind die Ukrainer offenbar im Kampf gegen russische Flugzeuge und Schiffe der Schwarzmeerflotte. So will die Ukraine in den letzten zwei Wochen rund ein dutzend Kampfflugzeuge der Russen sowie ein Aufklärungsflugzeug abgeschossen haben. Von den Russen wurde dies bislang nicht kommentiert.
Weiteres Schiff versenkt
Ausserdem hat die ukrainische Armee erst am Montag ein weiteres russisches Kriegsschiff versenkt. «Seit Beginn des Krieges hat die Ukraine rund ein Drittel der russischen Schwarzmeerflotte versenkt», sagt Huber. Die Russen hätten deshalb die Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen praktisch aufgeben müssen, inzwischen läuft der Getreide-Export fast wieder auf Vorkriegsniveau.
Allerdings: Die Zeit spielt für Russland. Denn Moskau geht sehr entschlossen und brutal vor – es hat seine Industrie auf Kriegswirtschaft umgestellt und wirft tausende Soldaten ohne Rücksicht auf Verluste an die Front – und viele von ihnen direkt in den Tod.