«Wladimir Wladimirowitsch, hören Sie uns an und helfen Sie uns!», appelliert eine Gruppe Menschen in einem Video auf der russischen Onlineplattform VKontakte. Sie berichten von seit Monaten defekten Heizungen, Temperaturen um fünf Grad in ihren Schlafzimmern, sie zeigen Eiszapfen, die sich an der Innenseite der Fenster gebildet haben.
«Um nicht zu erfrieren, tun wir alles, um ein wenig Wärme zu generieren», sagt eine Frau. Etwa den Backofen einschalten und die Ofentür offenlassen. Die Leute stammen aus der Siedlung Nowosawidowskij, nicht weit von Moskau.
Sie sind nicht die Einzigen in Russland, die frieren. Laut russischen Medien waren gestern bis zu 100'000 Menschen von Heizungsausfällen betroffen, am Donnerstag kamen zahlreiche Wohnblocks in den Grossstädten Saratow und Nowosibirsk hinzu.
Hilferuf an den Kremlchef
Viele Bewohnerinnen und Bewohner haben sich mit verzweifelten Botschaften an den Kreml gewandt. Sie kritisieren die untätigen lokalen Behörden und bitten Putin, das Problem endlich zu lösen. Am Dienstag reagierte der Präsident und befahl dem Ministerium für Katastrophenschutz, den Betroffenen zu helfen.
Dem Kreml passt es, wenn er zeigen kann, wie die Zentralregierung die einfachen Leute unterstützt, die von unfähigen Lokalfürsten im Stich gelassen würden. Tatsächlich scheinen die Heizprobleme in gewissen Regionen mit Korruption in der Ortsverwaltung zusammenzuhängen.
Doch das Problem geht tiefer. Korruption gibt es in Russland auch auf höchster Ebene. Staatliche Investitionen dienen oft dazu, die Elite und deren Unternehmen zu bereichern. Dies führt dazu, dass die Infrastruktur in den Machtzentren Moskau und Sankt Petersburg instandgehalten wird, nicht aber in den verarmten Provinzen des Landes.
Das Image leidet
Seit Putin Milliarden in die Rüstungsindustrie pumpt, um in der Ukraine die Oberhand zu gewinnen, bleibt noch weniger Geld für Strassen, Spitäler oder Heizsysteme übrig. Das kratzt am Image, das der Kreml seinem Volk vermitteln will – gerade in den Monaten vor den Präsidentschaftswahlen.
Eine Ausstellung in Moskau zeigt derzeit Russlands Regionen als Zentren des technischen Fortschritts. Die Bilder von Hightech-Laboren und Fabriken passen kaum zur Realität von maroden Rohren und Kraftwerken aus der Sowjetzeit.
Solche lokalen Probleme waren einst ein Hauptthema bei den jährlichen Pressekonferenzen Putins, bei denen sich Bürgerinnen und Bürger mit Bitten an den Präsidenten wenden. Doch bei der letzten Konferenz kurz vor Weihnachten nahmen der Krieg und seine Folgen für die Bevölkerung allen Platz ein. Der Kreml hält sie wohl für die aktuell dringendste Baustelle.
Unterschiedliche Sichtweisen
Putins Botschaft: Trotz aller Sanktionen spüre Russland kaum etwas vom Krieg. Auch betonte der Kremlchef am Donnerstag bei einem Auftritt in Chabarowsk, man versuche Russland von allen Seiten zu ersticken, und dennoch sei es die stärkste Wirtschaft in Europa. Derweil heisst es in Nowosawidowskij: «Bei uns wird nicht gekämpft, aber wir leben wie in der Blockade von Leningrad im Zweiten Weltkrieg.»
Ursprünglich lancierte der Kreml seinen Eroberungszug gegen die Ukraine unter anderem, um von solchen hausgemachten Problemen abzulenken. Dieser Winter zeigt, dass auch Kriegslust und Patriotismus diese Probleme nicht aus der Welt schaffen können.