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Urteil des obersten Gerichts In Russland befürchten Aktivisten willkürliche Repression

Die LGBT-Bewegung gilt jetzt als «extremistisch». Aktivistinnen und Aktivisten befürchten willkürliche Repression.

Das Treffen mit dem jungen Mann aus der russischen LGBT-Szene findet in einem Hinterhof statt. Der Student aus Moskau will seinen echten Namen nicht publik machen, wir nennen ihn Maxim.

In Russland sei es für Schwule wie ihn schon immer schwer gewesen. «Die meisten Leute haben kein Verständnis für LGBT-Menschen, also outen sich die wenigsten von uns», sagt er.

Seine Eltern und die allermeisten seiner Kommilitonen wüssten nicht von seiner sexuellen Orientierung. Doch mit der neuen Gesetzgebung werde es für die LGBT-Gemeinschaft enger, ist sich Maxim sicher.

Stetige Verschärfung

Die Einschränkungen wurden in den vergangenen Jahren stetig verschärft: 2013 führte Russland ein Gesetz ein, das die Verbreitung von «homosexueller Propaganda» an Minderjährige verbot.

2022 wurde das Verbot auf alle Altersgruppen ausgeweitet. Wer danach über «nicht-traditionelle Beziehungen» sprach, riskierte eine hohe Geldstrafe. Das traf Aktivistengruppen, Beratungsstellen und queere Veranstaltungen.

Menschen mit Pride-Fahne auf einem Platz.
Legende: «Pride»-Veranstaltung 2019 in St. Petersburg: Heute wäre eine solche Demonstration in Russland undenkbar – und für die Beteiligten wohl mit massiven juristischen Folgen verbunden. Reuters/Anton Vaganov

Neuerdings gilt die «internationale LGBT-Bewegung» in Russland als extremistisch. Was das in der Praxis bedeutet, lässt sich bis jetzt nicht genau sagen, zumal es die «internationale LGBT-Bewegung» so gar nicht als Organisation gibt.

Keine Urteilsbegründung 

Das Urteil des obersten russischen Gerichtshofs von Ende November bleibt unter Verschluss. Deshalb ist unklar, worin der angebliche Extremismus der LGBT-Bewegung besteht. Klar ist, das Verbot gilt ab dem 10. Januar.

Die russischen Sicherheitskräfte ihrerseits sind bereits zur Tat geschritten: Einen Tag nach dem Urteil kam es zu Razzien in mehreren LGBT-Nachtclubs in Moskau. Anwesende mussten sich in einem Club bis auf die Unterwäsche ausziehen und ihre Pässe kontrollieren lassen.

Maxim bewegt sich gerne in der LGBT-Szene in Moskau. Auch an der Universität war er Mitglied von geheimen LGBT-Gruppen, denen man nur auf Einladung beitreten durfte.

Inzwischen gibt es die LGBT-Organisation an der Uni nicht mehr. Die Gründer solcher Gruppen riskieren, als Extremisten zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden.

Reaktionäre Entwicklung

Auch einige Gay-Clubs hätten geschlossen, sagt Maxim. Andere versuchten, sich der neuen Realität anzupassen. So würden in einigen Clubs jetzt Tänzerinnen auf der Bühne performen – anstelle der üblichen männlichen Tänzer. «Es soll so aussehen wie ein normaler Club», so Maxim.

Der junge Mann sieht die Repression gegen sexuelle Minderheiten als eine von vielen reaktionären Entwicklungen in Russland, die angeblich traditionelle Werte schützen sollen.

Jüngst hat der Kreml Schritte unternommen, um etwa den Zugang zu Abtreibungen einzuschränken oder die orthodoxe Kirche enger an den Staat zu binden.

Angeblich dekadenter Westen

Russland will einen Gegenpol zum angeblich dekadenten Westen bilden, um ausserhalb des Westens Freunde zu gewinnen und um Menschenrechte per se zu diskreditieren, damit das Regime seine Macht mit allen Mitteln bewahren kann.

Maxim kennt viele LGBT-Menschen, die Russland nun verlassen wollen. Er selbst aber will vorerst bleiben. «Vielleicht bin ich eine Ausnahme – aber trotz allem liebe ich mein Land», sagt er. Das Leben gehe weiter – und er und seine «Bubble» versuchten, weiterzumachen. «Im Moment geht das noch.»

Am vergangenen Wochenende besuchte Maxim wieder einmal einen Gay-Club. Das habe etwas Angst gemacht, sagt er. «Aber auch Spass.»

 

Rendez-vous, 9.1.2024, 13:00 Uhr

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