In Singapur sind die Daten von mehr als 14'000 HIV-infizierten Patienten im Netz aufgetaucht. Namen, Adressen, Telefonnummern mit Testergebnis – das hat die Regierung eingestanden. HIV ist im Stadtstaat noch immer ein Stigma. Ausländer zum Beispiel müssen bei der Einreise angeben, ob sie HIV-positiv sind. Manfred Rist ist NZZ-Korrespondent in Singapur und schätzt die Situation ein.
SRF: Die ganze Geschichte ist ein Alptraum für die Beteiligten. Wie hat die Öffentlichkeit reagiert?
Manfred Rist: Die Öffentlichkeit in Singapur ist perplex – allerdings mit einer Einschränkung. Denn eine Öffentlichkeit, wie es sie in westlichen Ländern gibt, gibt es in Singapur nicht. Der Informationsfluss wird relativ stark von der Regierung kontrolliert – besonders in diesem Fall. Man hört momentan vor allem Rechtfertigungen der Regierung, wieso sie nicht schon vor zwei Jahren an die Öffentlichkeit gegangen ist, beziehungsweise wieso sie die HIV-Infizierten nicht über dieses Datenleck informiert hat.
Die Regierung glaubt von sich selber, dass sie allwissend ist – und dass ihr keine Fehler unterlaufen.
Das Datenleck ist also bereits zwei Jahre alt – erst jetzt ist es öffentlich geworden. Weiss man etwas darüber, wie die Betroffenen reagiert haben?
Eine Person ist von den Zeitungen gewissermassen als Vorzeigefall präsentiert worden. Er hat von seinem Trauma berichtet und wie sich sein Leben verändert hat. Man hat also eine Person ausgesucht, weil man die anderen 14'000 – darunter sind rund 7000 Singapurer – nicht noch zusätzlich exponieren wollte. Aber es ist ein äusserst unangenehmer Fall, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Regierung und diese ist jetzt im Rechtfertigungszwang. Und das ist relativ neu: Kritik an der Regierung in Singapur ist eigentlich etwas, das noch nicht so salonfähig ist.
Wie kamen diese Testergebnisse überhaupt an die Öffentlichkeit?
Es handelt sich um ein menschliches Fehlverhalten. Der Partner eines hohen Mitarbeiters im Gesundheitsministerium ist in Besitz der Daten gekommen. Weil dieser dann des Landes verwiesen worden ist – aus verschiedenen Gründen – hat er sich nun an der Regierung gerächt. Weil er immer mehr Daten ins Internet gestellt hat, war nun die Regierung gezwungen, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Weshalb wird denn jetzt die Regierung heftig kritisiert?
Es steht der Verdacht im Raum, dass sie diesen Fall – sagen wir mal passiv – vertuscht hat. Die Bevölkerung hat bereits auf Grund von anderen Ereignissen das Vertrauen in die Regierung verloren. In Singapur ist das sehr heikel, denn die Regierung glaubt von sich selber, dass sie allwissend ist – und dass ihr keine Fehler unterlaufen.
Das wäre ein Eingeständnis von Fehlern – und bemerkenswert für diese Regierung.
Wird sich denn jetzt etwas ändern?
Ich glaube nicht. Man muss abwarten, ob der Gesundheitsminister zurücktritt – ob er vom Premierminister abgesägt wird. Ich halte das im Moment für unwahrscheinlich, aber es ist nicht auszuschliessen. Vor allem der Gesundheitsminister steht in der Kritik. Es könnte also sein, dass es in der Regierung zu Rochaden kommt. Das wäre ein Eingeständnis von Fehlern – und bemerkenswert für diese Regierung.
Es ist also eigentlich ein grosser Skandal, aber die Auswirkungen dürften gering sein.
Das kann man so sagen. Weil eben der ganze öffentliche Diskurs in Singapur immer noch hinter vorgehaltener Hand stattfindet, sind die Auswirkungen nicht sehr gross. Aber es stimmt, es ist ein tragischer Fall und er könnte sich zu einem Reputationsfall für die Regierung ausweiten.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.