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Hofreiter vs. Özdemir «Es war ein knallharter Kampf zwischen beiden Flügeln der Grünen»

Die neue Bundesregierung Deutschlands wird sieben SPD-Vertreter, fünf Grüne und vier FDP-Vertreter haben. Bei den Grünen waren die beiden Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock gesetzt. Habeck als Vizekanzler und Wirtschafts-, Klima- und Energieminister, Baerbock als Aussenministerin. Überraschend ist, dass Anton Hofreiter, der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, leer ausgeht. Er verlor gegen Cem Özdemir. Dieser soll nun Landwirtschaftsminister werden. Politologin Münch erläutert die Hintergründe.

Ursula Münch

Politikwissenschaftlerin

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Ursula Münch ist Professorin für Politikwissenschaft an der Univerität der Bundeswehr in München, sowie seit 2011 Direktorin der Akademie für Politische Bildung im bayrischen Tutzing.

SRF News: Warum wird Özdemir Landwirtschaftsminister und nicht Hofreiter?

Ursula Münch: Da gibt es mindestens zwei Gründe. Der eine ist, dass Özdemir im Grunde eine Quotenanforderung erfüllt. Er hat einen türkischen Familienhintergrund. Das bisherige Personaltableau der Grünen für die neue Bundesregierung hat immer eine Ausgewogenheit zwischen Männern und Frauen vorgesehen. Aber das hat noch gefehlt.

Der andere Grund ist, dass sich nun der sogenannte Realo-Flügel durchgesetzt hat. Und es gibt auch einen dritten Grund: Man munkelt in Deutschland, – aber das ist nur vom Hörensagen – dass sich Anton Hofreiter bei den Koalitionsverhandlungen keine grossen Meriten erworben habe.

Wollen die Grünen Hofreiter lieber als Fraktionschef behalten?

Ja, wahrscheinlich wird es so interpretiert werden. Aber es war ein knallharter Kampf zwischen dem sogenannten Realo-Flügel und dem sogenannten fundamentalistischen Flügel. Die Realos sind der Meinung, dass man beim Regieren Zugeständnisse machen muss.

Konnte man erwarten, dass drei Sitze an die Realos und zwei an die Fundis gehen?

Ja. Der fünfte Sitz war umstritten. Es ist blöd, wenn man eine ungerade Zahl an Sitzen hat. Auf Twitter wird schon gespöttelt, es sei zu dumm, dass man Ministerämter in Deutschland nicht als Doppelspitze vergeben könne. Einer musste sich durchsetzen. Allerdings gibt es noch ein Trostpflaster, nämlich das Staatssekretärinnenamt. Es geht an die bisherige Vizepräsidentin der Grünen, Claudia Roth.

Die grüne Basis hat auch einen fundamentalistischen Flügel. Dem geht der Koalitionsvertrag inhaltlich nicht weit genug.
Autor: Ursula Münch Politologin

Definitiv ist die Beteiligung der Grünen erst, wenn die Basis dem Koalitionsvertrag zugestimmt hat. Das entscheiden 125'000 Parteimitglieder. Folgt die Basis der Parteispitze?

Davon gehe ich aus. Aber ich gehe auch davon aus, dass es kein 95 Prozent-Ergebnis wird. Die grüne Basis hat auch einen fundamentalistischen Flügel. Dem geht der Koalitionsvertrag inhaltlich nicht weit genug. Die Leute aus diesem Flügel fragen: Warum haben wir das Verkehrsministerium an die FDP abgeben müssen? Warum haben wir kein Tempolimit? Warum heisst es zum Kohleausstieg nur idealerweise bis zum Jahr 2030? Da ist eine gewisse Unzufriedenheit. Aber die Mehrheit wird zustimmen.

Falls die Basis die grünen Minister und Ministerinnen absegnet: Können diese die deutsche Regierung zu einer Klimaregierung machen, wie das Habecks Superministerium für Klima und Wirtschaft verspricht?

Sie werden es auf jeden Fall versuchen. Aber natürlich könnten die grünen Ministerinnen und Minister das nicht gegen den Rest der Bundesregierung tun. Und der Koalitionsvertrag ist ein Zeugnis davon, dass dies nicht nur das Vorhaben der Grünen in der neuen Bundesregierung ist. Das will die gesamte neue Bundesregierung. Man streitet sich im Grunde über den Weg dorthin. Die Liberalen wollen es mit viel Eigeninitiative und Innovationskraft der Unternehmen, während die Grünen mehr auf die lenkende Hand des Staates setzen.

Das Gespräch führte Daniel Hofer.

Rendez-vous vom 26.11.2021, 12:30 Uhr; ; 

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