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Humanitäre Abgründe in Sudan Gemetzel in Darfur – und nur Satelliten schauen hin

Seit 2023 bekämpfen sich in Sudan die Armee und die Milizen der Rapid Support Forces. Das Leid ist unermesslich.

«Dank Hightech und Satelliten können wir fast in Echtzeit beobachten, was derzeit in Al-Faschir passiert», sagt Nathaniel Raymond, der Direktor des Humanitarian Research Lab der US-Universität Yale . «Wir kombinieren unter anderem hochauflösende Satellitenbilder mit geothermischen Daten der Nasa», erklärt er: «Die Daten zeigen, wo Häuser oder Fahrzeuge brennen und sie liefern uns Hinweise darauf, wo Menschen vertrieben werden.»

Seit einem Monat ist die Stadt Al-Faschir von drei Seiten her eingekesselt. Mittlerweile sind die für ihre Brutalität berüchtigten Milizen der Rapid Support Forces bereits in verschiedene Quartiere eingedrungen. «Wir sehen, dass der grosse Markt im Stadtzentrum zerstört ist. Und innert zweier Wochen haben die Rapid Support Forces in einem Gebiet von eineinhalb Quadratkilometern Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht – durch Bombardierung, Feuer und Bodentruppen.»

Umgebracht oder vertrieben

Betroffen sei nicht nur die Bevölkerung in der Stadt, sondern auch Hunderttausende intern Vertriebene in den umliegenden Flüchtlingslagern, sagt Nathaniel Raymond. 2.8 Millionen Menschen leben in und um die Stadt Al-Faschir. Tausende seien vermutlich schon umgekommen, alle anderen seien auf verschiedene Arten akut bedroht. Menschen sterben im Kugelhagel, wegen fehlender Nahrung, aber auch durch Hinrichtungen. Denn in Al-Faschir gehören viele zu den Volksgruppen der Massalit und Zaghawa, die von den Rapid Support Forces schon länger gezielt umgebracht oder vertrieben werden.

Das US-Aussenministerium, mit dem das Humanitarian Research Lab zusammenarbeitet, spricht von ethnischen Säuberungen. Letztlich führten die Rapid Support Forces heute den Völkermord in Darfur weiter, den sie vor über 20 Jahren – damals unter dem Namen Janjaweed Milizen – begonnen hatten, ist Nathaniel Raymond überzeugt. Aber alle Menschen, vor allem diejenigen in den Flüchtlingslagern, seien derzeit vor allem gefährdet, weil es keine Nahrungsmittel mehr gebe in der Region Al-Faschir .

Kinder verhungern

Die UNO konnte Mitte April letztmals Nahrungsmittel in die Stadt bringen. Seither blockieren die Rapid Support Forces sämtliche Hilfslieferungen. Die Menschen in Al-Faschir hätten schon gehungert, bevor die Kämpfe begannen, sagt Nathaniel Raymond. Und sie verfügten über Berichte, wonach sich zum Beispiel die Flüchtlinge im Lager Zamzam mittlerweile von Erdnussschalen und Gräsern ernähren müssten. Im Lager gebe es mittlerweile viele Kinder, die im letzten Stadium der Unterernährung seien. In diesem baut der Körper Muskelmasse ab und viele Kinder sterben deswegen an toxischen Schocks.

In Bezug auf die schiere Grösse der Bevölkerung und der Geschwindigkeit, mit der dieser Schaden zugefügt wird, ist Al-Faschir derzeit der gefährlichste Ort der Welt.
Autor: Nathaniel Raymond Humanitarian Research Lab

Die Katastrophe, die sich in der Region Al-Faschir anbahne, sei vom Ausmass her schlimmer, als was sich derzeit im Gazastreifen abspiele, sagt der Epidemiologe Nathaniel Raymond von Humanitarian Research Lab: «Ich mag eigentlich keine Konflikte vergleichen, denn alles Leiden ist schlimm, überall auf der Welt. Aber in Bezug auf die schiere Grösse der Bevölkerung und der Geschwindigkeit, mit der dieser Schaden zugefügt wird, ist Al-Faschir derzeit der gefährlichste Ort der Welt.»

Nur scheine dies kaum jemanden zu kümmern. Für diese Menschen setzen sich keine Promis ein, niemand demonstriert und schreit Slogans. «Wir schauen via Satellit zu und die Welt schweigt. Es ist ein beschämendes Schweigen», so der Wissenschaftler.

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