Litauen ruft wegen Ballons aus dem benachbarten Belarus den nationalen Ausnahmezustand aus. Innenminister Wladislaw Kondratowitsch begründet den Schritt nicht nur mit Störungen des Flugverkehrs, sondern auch mit Interessen der nationalen Sicherheit. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht von einem «inakzeptablen hybriden Angriff».
Litauen, Polen und weitere EU-Länder haben Belarus wiederholt vorgeworfen, die Stabilität der Region zu gefährden – unter anderem mit der Einschleusung von Migranten und Cyberattacken. Im Sommer stürzte eine mit Sprengstoff beladene Drohne über einem Militärgelände in Litauen ab – mutmasslich kam sie aus Belarus.
«Belarus signalisiert damit, dass es den Preis jederzeit hochtreiben kann», sagt Linas Kojala vom Zentrum für Geopolitik und Sicherheitsstudien in Vilnius. «Einmal nutzt es Migration als Waffe, dann wieder sind es Ballons.» Letztlich gehe es dem Regime darum, aus seiner Isolation auszubrechen und wieder mit der EU ins Gespräch zu kommen.
Regierung in Minsk weist Vorwürfe zurück
In den vergangenen Wochen hatten Ballons aus Belarus wiederholt den Luftraum des Nato-Landes verletzt. Mehrmals stellte Vilnius den Flugverkehr ein, worauf Zehntausende Menschen am Flughafen der Hauptstadt strandeten.
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko sprach seinerseits von einem hybriden Krieg gegen Belarus. Litauen versuche, mit «verrückten Falschdarstellungen» sein Versagen im Kampf gegen Schmugglerbanden im Grenzgebiet zu vertuschen.
Die Ballons werden normalerweise genutzt, um Zigaretten über die Grenze zu schmuggeln. Litauen spricht nun aber von einem bislang ungekannten Ausmass und Flugrouten, die gezielt Störungen verursachen sollten. Die Beweisführung ist schwierig, doch Indizien gibt es durchaus.
Mit Hightech gegen Ballons?
Laut ARD-Korrespondentin Julia Wäschenbach war die Zahl der Ballonsichtungen 2023 noch verschwindend gering. In diesem Jahr waren es bereits über 600 – oft flogen sie über kritische Infrastruktur. «Und wenn immer wieder Ballons gestartet werden, wenn der Wind Richtung Flughafen weht, glauben die Behörden nicht mehr an Zufall», sagt Wäschenbach gegenüber SRF News.
Der Ausnahmezustand erlaubt es der litauischen Armee, an der Grenze zu Belarus zu patrouillieren und Verdächtige anzuhalten und allenfalls festzunehmen.
Die Ballons abzuschiessen, dürfte jedoch schwierig werden. «Sie fliegen hoch und bewegen sich schnell», erklärt die ARD-Korrespondentin. «Und wenn Litauen Mittel einsetzen würde, die zur Abwehr von Drohnen und Kampfflugzeugen gedacht sind, wäre das enorm teuer.»
Die mutmasslichen Provokationen aus Belarus dürften kaum die «Flughöhe» erreichen, um zu einer Eskalation zu führen. Stattdessen erhoffe sich Lukaschenko eine Lockerung der EU-Sanktionen, schliesst der litauische Politanalyst Valery Kabalevich. «Er will Brüssel mit Drohungen und hybriden Attacken zu Verhandlungen zwingen.»