«Susamam», zu Deutsch: «Ich kann nicht schweigen». So heisst das Video von 18 Künstlern unter der Leitung des Sängers Saniser, welches seit der Veröffentlichung am vergangenen Freitag auf Youtube schon über 18 Millionen Mal angeschaut wurde.
Vor dystopischen Kulissen, Waldbränden, Fabrikschloten und Wüstenlandschaften kritisieren die ersten beiden Rapper die Umweltzerstörung. «Mensch, schau dir diesen Planeten an», erklärt Rapper Fuat an die Zuschauer gerichtet. Twittern reicht nicht, sekundiert der Rapper Adios. Es muss gehandelt werden.
Dann übernimmt Saniser selbst, um seiner Generation die Leviten zu lesen. «Ich bin unpolitisch aufgewachsen gehe nicht einmal wählen. Ich denke nur an Urlaub, ausgehen und Schulden. Als die Gerechtigkeit gestorben ist, habe ich geschwiegen, denn es ging ja nicht um mich. Jetzt wage ich nicht einmal mehr einen Tweet zu schreiben und fürchte mich vor der Polizei meines eigenen Landes.»
Bildung ist ein weiteres Thema, das den Rappern und ihrer Generation unter den Nägeln brennt. «Gib mir Geld, dann gebe ich dir ein Diplom, sonst musst du schwitzen», prangert Sänger Sokrat die Bildungsungleichheit an. «Ich habe die Uni abgeschlossen, soll ich jetzt Kassierer im Supermarkt oder Platzanweiser im Kino werden?» An jeder Ecke eine Universität, aber den Dorfschulen gehe es schlecht. «Wer die Macht hat, dessen Ideologie wird dort gelehrt. Befördert wird strikt nach Geld und Verbindungen.» Bildung sei zum Profitsektor geworden, nicht anders als der Bau.
«Du musst jemanden im Weissen Palast kennen»
Ein Dutzend weitere Übel greifen die Rapper auf ihrem Streifzug durch die moderne Türkei auf: Drogen, Selbstmord, Tierquälerei und rasende Jugendliche in teuren Sportwagen, die sich bei Unfällen freikaufen.
Der Künstler Tahribadiisyan thematisiert die Vetternwirtschaft und wagt sich dabei weit vor: «Geld musst du haben oder jemanden kennen; die grossen Tiere müssen deine Nummer haben. Du musst jemanden im Weissen Palast kennen.» Eine unmissverständliche Anspielung auf die regierende AKP-Partei und den Präsidentenpalast von Recep Tayyip Erdogan.
«Sollen sie kommen»
Viele Türken sind schon für weniger kritische Äusserungen verurteilt worden, sei es nur in einem Tweet. Die Reaktionen auf das Video sind nicht ausgeblieben; von einer Provokation und einem politischen Manipulationsversuch sprach der Vizevorsitzende der AKP-Partei, ein regierungsnaher Kommentator vermutete hinter dem Video gar eine Terrororganisation oder den amerikanischen Geheimdienst.
Damit sei zu rechnen gewesen, sagt Rapper Fuat. Denn das Video streue Salz in die Wunden der Türkei. «Wenn sie kommen wollen, bitteschön», so Fuat über Polizei und Staatsanwaltschaft. «Ich habe keine Angst.»