In vielen Ländern gestaltet sich die Durchimpfung der Bevölkerung harzig. Ganz anders in Israel – dort wurde schon zu Beginn der Impfkampagne aufs Gaspedal gedrückt. In dem Neun-Millionen-Einwohner-Land erhielten bisher bereits rund 3.8 Millionen Menschen eine Erstimpfung. Etwa 2.4 Millionen bekamen auch die zweite Dosis, fast 85 Prozent der über 60-Jährigen sind geimpft. Doch nun scheint die Massenimpfung ins Stocken zu geraten.
Kein Andrang mehr vor Impfzentren
In den ersten Wochen der Impfkampagne gab es lange Schlangen vor den Impfzentren. Die Behörden registrierten zuletzt jedoch eine Stagnation der täglichen Impfungen. Die Impfzentren stehen teilweise leer. Es gibt sogar Berichte, dass Impfdosen am Ende des Tages weggeworfen werden mussten.
Und das, obwohl die Impfung zumindest bei der Risikogruppe erste Wirkung zeigt: Trotz nach wie vor hoher Fallzahlen ist zumindest die Anzahl der Schwerkranken erstmals seit Wochen wieder unter die Marke von 1000 gefallen. Doch sinkt jetzt die Impfbereitschaft?
Wenig Interesse ausserhalb der Risikogruppe
Interesse für die Impfung scheint unter anderem bei jüngeren Personen, in jüdisch ultraorthodoxen Kreisen und den sozioökonomisch schwächeren arabischen Gemeinden wenig vorhanden zu sein. Bei den 20- bis 30-Jährigen liegt die Impfquote nur bei rund 30 Prozent. Je jünger also, desto grösser die Impfskepsis? «Nein, die Gründe dafür sind komplexer und haben nicht nur mit Impfskepsis zu tun», sagt SRF Nahost-Korrespondentin Susanne Brunner.
Je weniger Vertrauen die Bevölkerung in die Regierung hat, umso grösser die Skepsis.
In Israel zeige sich nun wegen des raschen Tempos einfach vorzeitig, was unter anderem für den gesamten Nahen Osten gelte: «Je weniger Vertrauen die Bevölkerung in die Regierung hat, umso grösser die Skepsis.» In Jordanien beispielsweise habe kürzlich eine Umfrage der University of Jordan ergeben, dass 80 Prozent der Bevölkerung der Regierung gar nichts glaube. Und in Israel demonstrieren die Jungen trotz Ausgangsbeschränkungen auf den Strassen gegen Premierminister Netanjahu.
Widersprüche rächen sich
In den stark gläubigen Kreisen glaubten viele wiederum nicht an das Coronavirus, so Brunner. «Viele hielten sich gar nicht an die Massnahmen, ihre Kinder gingen weiterhin zur Schule, auch, weil sie aus religiösen Gründen keine Smartphones oder Computer haben für Online-Schulung.» Die Polizei greife dort nicht durch. Auch andernorts war die Regierung nicht konsequent: In Jordanien seien teils die besonders armen Bevölkerungsschichten arbeiten gegangen, während andere eingesperrt waren.
Widersprüche befeuern den Vertrauensverlust in die Regierung
«Solche Widersprüche befeuern den Vertrauensverlust in die Regierung», sagt Brunner. Dies zeige sich dann – nicht nur, aber auch – bei den Impfkampagnen.
Impfkampagnen müssen Zielgruppengerecht sein
In Israel zeigt sich aber auch ein grundlegendes Problem: «Man darf nicht den Fehler machen und davon ausgehen, dass alle die Impfung wollen», sagt die Nahost-Korrespondentin. Neben der Risikogruppen sähen viele den Nutzen einer Impfung nicht.
Die verschiedenen Zielgruppen müssten ganz anders angesprochen werden. «Die Informationskampagne für die Jungen muss frischer sein, es braucht Influencer, die in ihren Kreisen agieren und Überzeugungsarbeit leisten können.» Um die breite Bevölkerung erfolgreich impfen zu können, müssten die Regierungen also differenzierter kommunizieren und auch in anderen Bereichen Vertrauen schaffen.