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In der Nähe von Calais 27 Migranten sterben bei Bootsunglück im Ärmelkanal

  • Beim Kentern eines Flüchtlingsbootes im Ärmelkanal sind 27 Menschen gestorben.
  • Das verlautete in der Nacht zum Donnerstag aus französischen Regierungskreisen.
  • Innenminister Gerald Darmanin hatte zunächst von mindestens 31 Toten gesprochen.
  • Seinen Worten zufolge befanden sich zwei Migranten in kritischem Zustand im Krankenhaus. Sie litten an schwerer Unterkühlung.

Wie die Maritime Präfektur während der noch laufenden Rettungsaktion mitteilte, setzte ein Fischerboot den Notruf ab, dass sich mehrere Migranten in Seenot im Ärmelkanal befänden. Mit Booten und Hubschraubern bemühten sich Helfer von Frankreich aus um eine Bergung. Einige der Geretteten befänden sich in Lebensgefahr. Die französische Polizei habe vier Personen in Gewahrsam genommen. Sie stünden im Verdacht, die Tragödie mitverursacht zu haben.

Mindestens 50 Migranten auf dem Boot

Die Zeitung «La Voix du Nord» berichtete von mindestens 27 Toten. Auf dem Boot hätten sich rund 50 Migranten befunden, als dieses rund 15 Kilometer von Calais entfernt kenterte. In dem von Sicherheitskräften abgesperrten Hafen von Calais habe eine bleierne Stille geherrscht, als die Toten in der Dunkelheit von den Rettungsschiffen an Land gebracht worden seien. Im Spital wurde zur Versorgung der Überlebenden ein Notfallplan aktiviert.

Dreimal so viele Überquerungen

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Im laufenden Jahr haben bisher mehr als 25'700 Menschen illegal den Ärmelkanal überquert. Das sind fast dreimal so viele wie im gesamten Jahr 2020. Die britische Regierung wirft Frankreich vor, nicht genug gegen illegale Überfahrten zu unternehmen, Paris weist das zurück.

Der britische Premierminister Boris Johnson sagte, er sei «schockiert, entsetzt und zutiefst betrübt» nach dem Tod von wenigstens 30 Migranten, berichtete die Nachrichtenagentur PA. Als Reaktion berief er das nationale Sicherheitskabinett ein.

Man kann nicht oft genug betonen, wie kriminell die Schlepper sind, die diese Überfahrten organisieren.
Autor: Jean Castex Französischer Premierminister

Frankreichs Premierminister Jean Castex sprach von einer Tragödie, seine Gedanken seien bei den zahlreichen Opfern. Es gebe grosse Betroffenheit angesichts des Dramas beim Kentern des Bootes, sagte Innenminister Darmanin. «Man kann nicht oft genug betonen, wie kriminell die Schlepper sind, die diese Überfahrten organisieren.»

Wie will man solche Tragödien verhindern?

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  • SRF-Frankreich-Korrespondent Daniel Voll: «Die französische Regierung warnt ausdrücklich davor, den Kanal mit kleinen Booten zu überqueren. Es gab auch Plakate und Anzeigen in den lokalen Zeitungen, dass Anwohner kleine Boote melden sollen, wenn sie sie sichten. Der Kanal ist eine gefährliche Wasserstrasse. Aber im Moment gibt es kaum andere Möglichkeiten für die Migranten, nach Grossbritannien zu gelangen.»
  • SRF-Grossbritannien-Korrespondent Patrik Wülser: «Seit Wochen beschuldigen sich Frankreich und Grossbritannien gegenseitig, zu wenig gegen die Migrationskrise zu unternehmen. Premierminister Boris Johnson steht politisch stark unter Druck, die Grenzen generell unter Kontrolle zu bringen. Das war ein Versprechen des Brexits. In Grossbritannien wurden in den letzten Wochen mehrheitlich Massnahmen diskutiert, wie man diese Menschen mit schweren Booten abdrängen und nicht an die Küste lassen könnte. Und wie man auf Frankreich Druck ausüben könnte, damit es verhindert, dass die Menschen über den Kanal kommen. Aktuell wird auch darüber diskutiert, in Albanien oder Afrika Asylzentren einzurichten.»

Neues Kooperationsabkommen

Erst im Juli hatten beide Seiten ein neues Kooperationsabkommen vereinbart, um die wachsende Zahl der Migranten, die mit kleinen Booten über den Ärmelkanal nach England kommen, in den Griff zu bekommen. London sagte dabei 62.7 Millionen Euro zu, um die französischen Behörden zu unterstützen.

Polizisten an Strand.
Legende: Französische Polizisten patrouillieren am Strand von Wimereux, rund 35 Kilometer südlich von Calais. Keystone/Archiv

Vor allem die britische Innenministerin Priti Patel steht wegen der wachsenden Zahl an Migranten unter Druck. Konservative Kreise und Medien sprechen von einer «Krise». Allerdings ist die Zahl der Flüchtlinge, die in Grossbritannien Asyl beantragen, deutlich niedriger als in anderen europäischen Ländern.

«Ärmelkanal darf kein Friedhof werden»

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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert eine Dringlichkeitssitzung der Minister, die in den EU-Mitgliedstaaten für Migrationsfragen zuständig sind.
«Frankreich wird nicht zulassen, dass sich der Ärmelkanal in einen Friedhof verwandelt», hiess es in einer Erklärung Macrons am Mittwoch.

Darin forderte er zudem eine umgehende Verstärkung der EU-Grenzschutzbehörde Frontex. Der britische Premierminister Boris Johnson rief Frankreich dazu auf, mehr zu unternehmen, um Migranten davon abzuhalten, die Meerenge zu durchqueren. Er bot an, dass französische und britische Beamte gemeinsam an Stränden patrouillieren.

Patel hatte angekündigt, die Überfahrten zu beenden. Nach dem Brexit führte die Regierung scharfe Zuwanderungsregeln ein. Noch aber hat Patel kein Mittel gefunden, die Migration über den Ärmelkanal zu stoppen. Zuletzt kündigte sie erneut eine Verschärfung der Asylregeln an.

 

SRF 4 News, 24.11.2021, 20:00 Uhr ; 

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