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In Obhut missbraucht Deutsche Aufarbeitung nach Schweizer Vorbild

Deutschland will die Geschichte von sexuellem Missbrauch in Institutionen und Familien aufarbeiten. Die vom deutschen Bundestag und der Regierung eingesetzte Aufarbeitungskommission setzt dabei auf Schweizer Hilfe.

Am Ufer der Spree im Berliner Regierungsviertel ist der Sitz der deutschen Aufarbeitungskommission. Im Januar reiste Luzius Mader, der Delegierte für Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen in der Schweiz zusammen mit Leuten vom Bundesamt für Justiz nach Berlin, um den Deutschen vom Schweizer Modell zu berichten.

Sabine Andresen, die Vorsitzende der deutschen Kommission hatte die Schweizer eingeladen. «Was uns beim Vorgehen der Schweiz sehr beeindruckt hat, ist, dass nach der Einrichtung des Runden Tisches relativ schnell klar war, man braucht eine Soforthilfe für Betroffene. Auch beeindruckend war, zu hören, wie das Gesetzgebungsverfahren aufgegleist und wie die Inhalte des Gesetzes umgesetzt werden.»

Während in der Schweiz bereits an tausende Opfer Solidaritätsbeiträge ausgerichtet wurden, steht man in Deutschland erst am Anfang eines langen Aufarbeitungsprozesses. Die Kommission hat ihre Arbeit 2016 aufgenommen. 1500 Opfer haben sich bislang gemeldet.

Ein Akt der Entschuldigung, der Verantwortungsübernahme im Deutschen Bundestag wäre unglaublich wichtig für die Betroffenen.
Autor: Sabine Andresen Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs

Lange scheute sich die deutsche Politik davor, die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen anzugehen. Dafür sollen jetzt nicht nur Fälle in Institutionen, sondern auch sexueller Missbrauch im privaten Umfeld und in Familien aufgearbeitet werden.

Späte und breite Aufarbeitung

Den politischen Prozess brachte 2010 Matthias Katsch ins Rollen. Der Berliner klärte die deutsche Öffentlichkeit über sein persönliches Schicksal in jungen Jahren im Berliner Canisius Kolleg auf. Er berichtete, wie er und hunderte andere Kinder während Jahren in der Jesuitenschule sexuell missbraucht wurden.

Katsch hat in den letzten Jahren mit Interesse die Aufarbeitung in der Schweiz mitverfolgt. «Auch wenn man einzelne Schicksale nicht miteinander vergleichen kann, ist der Schweizer Weg ein guter Weg für die Betroffenen». Er begrüsse die Zusammenarbeit der Deutschen mit den Schweizer: «Wir können immer voneinander lernen. Wir müssen aus der Vergangenheit die Lehren ziehen, unsere Institutionen verbessern, um Kinder und Jugendliche heute besser zu schützen».

Warten auf die Entschuldigung

Das Schweizer Modell sieht die historische Aufarbeitung, die Ausrichtung eines Solidaritätsbeitrags sowie Anerkennung und Entschuldigung der Behörden vor. Letzteres tat Bundesrätin Sommaruga vor fünf Jahren in Bern im Namen des Bundesrats. So etwas wünscht sich die Vorsitzende der deutschen Aufarbeitungskommission, Sabine Andresen, auch in ihrem Land.

«Ein Akt der Entschuldigung, der Verantwortungsübernahme im Deutschen Bundestag wäre unglaublich wichtig für die Betroffenen. Wir hoffen sehr, dass wir in nicht allzu langer Zeit auch einmal da hinkommen.»

Auf diesen ersten Schritt der deutschen Politik warten Matthias Katsch und hunderttausende andere Betroffene noch. Das will die deutsche Aufarbeitungskommission ändern. Schnellstmöglich. Inspiriert vom Schweizer Modell.

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