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Inflation in Sri Lanka Kein Fisch, kein Fleisch, kein Gemüse

Teepflückerinnen und –pflücker in Sri Lanka verdienen schlecht. Durch die hohe Inflation reicht der Lohn oft nicht mehr, um satt zu werden. Das wirft ein schlechtes Licht auf gemeinnützige Organisationen wie die Rainforest Alliance, die mit ihrem Gütesiegel faire Arbeitsbedingungen garantieren.

Im kühlen Hochland der Ferieninsel Sri Lanka. Eine Teepflückerin steht am Steilhang einer Teeplantage bis zu den Hüften in grün-glänzenden Teepflanzen. Sie stellt sich als Vasuki vor. Die Frau pflückt mit flinken Fingern die obersten, noch hellgrünen Blätter ab – und stopft sie, wenn die Hand voll ist, blitzschnell in einen grossen Sack auf ihrem Rücken.

Die Teepflückerin Vasuki steht inmitten einer Plantage und blickt in die Kamera.
Legende: Hunderttausende Teepflückerinnen und Teepflücker arbeiten wie Vasuki auf den Plantagen im Hochland Sri Lankas. SRF/Maren Peters

«Wir müssen mindestens 18 Kilogramm Teeblätter pro Tag pflücken», sagt Vasuki. Dafür bekomme sie 1000 sri-lankische Rupien. Das sind umgerechnet 2.70 Franken.

Wenn sie weniger pflückt, gibt es Abzüge

Die 41-Jährige in löchriger rosa Fleecejacke macht eine kurze Pause und zeigt ihre Handflächen: Sie sind rissig von den harten Teeblättern, die sie Tag für Tag abreisst.

Vasuki zeigt ihre rissige Handfläche.
Legende: Die Arbeitsbedingungen auf den Teeplantagen sind prekär. Dies hat auch körperliche Folgen. SRF/MAREN PETERS

Wie Vasuki arbeiten Hunderttausende von Teepflückerinnen und -pflückern in der Teeregion Nuwara Eliya im Hochland Sri Lankas. Die Arbeit in der bilderbuchschönen Umgebung ist hart, meist weiblich und vergleichsweise schlecht bezahlt.

Die Teeregion Nuwara Eliya im Hochland Sri Lankas.
Legende: Die Teeregion Nuwara Eliya im Hochland Sri Lankas. SRF/Maren Peters

Mit der hohen Inflation, die in der schweren Wirtschaftskrise vor einem Jahr zeitweise auf 86 Prozent kletterte, bleibt von dem Wenigen kaum etwas übrig. «Es reicht nicht zum Leben», sagt Vasuki. «Aber was können wir machen?»

Teepflückerinnen und -pflücker stammen aus Indien

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Die britische Kolonialmacht brachte im 19. Jahrhundert Tamilen aus Südindien ins Hochland des damaligen Ceylon. Sie sollten dort auf den britischen Teeplantagen arbeiten, die bald eine wichtige Einnahmequelle für das Land wurden. In Indien waren die Tamilen von einer Hungersnot bedroht. Sie erhofften sich auf Ceylon bessere Lebensbedingungen. Aber sie wurden enttäuscht. In den Teeplantagen erwartete sie niedriger Lohn und harte Arbeit. Die meisten lebten in von den Briten gebauten, schlichten Baracken ohne sanitäre Anlagen, lange ohne Schulen und Gesundheitsversorgung. Bis heute haben die meisten nur einen Gemeinschaftswasseranschluss vor der Tür und kein WC. Die Bildung ist unterdurchschnittlich.

Die Hochlandtamilen waren lange staatenlos. Erst nach Abkommen zwischen der sri-lankischen und der indischen Regierung in den 60er- und 70er-Jahren erhielten 40 Prozent der Hochlandtamilen die sri-lankische Staatsbürgerschaft. Die Übrigen wurden nach Indien zurückgebracht und repatriiert.

Heute leben nach verschiedenen Schätzungen zwischen 800'000 und einer Million Nachfahren der Hochlandtamilen auf Sri Lanka. Ungefähr 15 Prozent davon pflücken Tee, die meisten sind Frauen.

Eine Studie der sri-lankischen Universität Peradeniya zeigt auf, dass eine Teepflückerin gut 2500 Rupien pro Tag verdienen müsste – und das an mindestens 21 Arbeitstagen pro Monat –, um angesichts der hohen Inflation die Lebenshaltungskosten decken zu können. Das wäre das Zweieinhalbfache des jetzigen Tageslohns.

Vasukis Mann ist Tagelöhner und verdient noch etwas dazu: Und trotzdem ist es nicht genug, um genug Essen für die Eltern und ihre beiden halbwüchsigen Kinder zu kaufen. «Manchmal bin ich hungrig. Und die Kinder sind es auch», sagt Vasuki.

Die Folgen der Wirtschaftskrise Sri Lankas

Sri Lanka hat die schwerste Wirtschaftskrise seiner Geschichte hinter sich. Die Allerärmsten, zu denen auch die tamilischen Teepflückerinnen und ihre Familien zählen, leiden besonders unter den Folgen. Die Gewerkschaft habe von den Tee-Unternehmen mehr Geld verlangt, sagt Vasukis Kollegin, die sich als Gelitshmi vorstellt, und ein paar Meter weiter Teeblätter pflückt. Aber die Unternehmen hätten sich geweigert, mehr zu bezahlen.

Gelitshmi inmitten der Plantage.
Legende: Vasukis Kollegin Gelitshmi. Die beiden Frauen sind Teepflückerinnen auf den sri-lankischen Plantagen. SRF/Maren Peters

Roshan Rajadurai ist Chef einer Teeplantage und Vorsitzender der Planters Association of Ceylon, also des Pflanzer-Verbands von Sri Lanka.

Wir können den Pflückerinnen nicht mehr bezahlen, als wir verdienen.
Autor: Roshan Rajadurai Chef einer Teeplantage

Der stämmige Mann könnte aus einem Kolonialfilm stammen, mit seinen kurzen Hosen und den weissen Gamaschen über geschnürten Lederstiefeln. «Wir können den Pflückerinnen nicht mehr bezahlen, als wir verdienen», sagt Rajadurai gegenüber SRF am Rand einer Plantage. Weil die Regierung vor zwei Jahren den Import von Düngern und Pestiziden plötzlich verboten habe, sei die Tee-Ernte miserabel gewesen.

Roshan Rajadurai, Chf einer Teeplantage und Vorsitzender des Planzer-Verbands von Sri Lanka.
Legende: Roshan Rajadurai, Chef einer Teeplantage und Vorsitzender des Pflanzer-Verbands von Sri Lanka. SRF/Maren Peters

Offiziell wollte die Regierung auf biologischen Landbau umstellen. Der eigentliche Grund dürfte gewesen sein, dass der Regierung die Devisen ausgingen. «Jetzt gibt es zwar wieder Dünger in Sri Lanka», sagt der Plantagen-Chef, «aber er ist viel teurer als vor dem Bann.»

Die Produktionskosten für Tee seien dadurch massiv gestiegen – und so hoch wie in keinem anderen Land der Welt. Aber die Detailhändler wollten die gestiegenen Kosten nicht an die Konsumentinnen weitergeben.

Die hohe Inflation sei natürlich ein Problem für die Teepflückerinnen, sagt Rajadurai. Aber für die Inflation könne man nicht die Unternehmer verantwortlich machen. Da sei die Politik in der Pflicht.

Der Schein des Gütesiegels

Die Plantage, auf der Vasuki und Gelitshmi Tee pflücken, ist von der Rainforest Alliance zertifiziert. Die gemeinnützige Organisation garantiert damit unter anderem eine faire Bezahlung und menschenwürdige Behandlung – worauf viele Konsumentinnen und Konsumenten vertrauen. Ist das im Fall der sri-lankischen Teepflückerinnen nur Greenwashing?

Teeblätter
Legende: Das Zertifizierungsunternehmen Rainforest Alliance lässt Konsumentinnen und Konsumenten weiter in dem Glauben, die Arbeiter und Arbeiterinnen würden fair bezahlt. SRF/Maren Peters

Auf Anfrage schreibt die Rainforest Alliance: «Wir sind tief betroffen, dass Arbeiterinnen in Sri Lanka ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können.» Die 1000 Rupien Lohn pro Tag seien der Mindestlohn der Regierung. Aber die Lebenshaltungskosten hätten sich seit dem letzten Jahr verdreifacht. Die Zertifizierung könne zwar eine wichtige Grundlage für die soziale und ökologische Nachhaltigkeit bilden, aber sie könne nicht die sozioökonomischen Probleme eines Landes lösen.

Konsumentinnen und Konsumenten lässt das Zertifizierungsunternehmen weiter in dem Glauben, die Arbeiter und Arbeiterinnen würden fair bezahlt.

Immerhin, schreibt die Rainforest Alliance weiter, habe sie Unternehmen, die zertifizierten Tee verkaufen, Ende Juli aufgefordert, einen Zuschlag zu verlangen. Er soll unter anderem den Pflückerinnen zugutekommen. Ob und wie viele Unternehmen mitmachen wollen, kann die Organisation nicht beziffern. Ob der Zuschlag an die Pflückerinnen weitergereicht würde, ist eine andere Frage.

Plantagen-Chef Rajadurai hat für die hungerleidenden Pflücker und Pflückerinnen eine Empfehlung: Wer mehr verdienen wolle, könne sich einen Zweitjob suchen, meint er. Arbeit sei genug da.

Wir essen kein Fleisch, keinen Fisch, keine Früchte mehr.
Autor: Saman Sathiyanathan Plantagenarbeiter

Saman Sathiyanathan, der aus Angst vor Entlassung seinen richtigen Namen nicht nennen will, hat schon lange einen Zweitjob. Der Familienvater, den wir abends in seinem schlichten Zuhause treffen, sprüht seit 15 Jahren Pestizide in den Teefeldern. Auch seine Eltern arbeiteten schon auf den Plantagen. 

Wohnbaracken

«Ein Lohn reicht nicht aus für uns», sagt Saman. Aber seine Frau, eine frühere Teepflückerin, sei krank und könne nicht mehr arbeiten. Doch selbst mit seinen zwei Jobs sei es sehr schwierig für die vierköpfige Familie über die Runden zu kommen. «Wir essen kein Fleisch, keinen Fisch, keine Früchte mehr.» Das einzige, woran sie nicht sparten, sei die Bildung der Kinder.

Die Küche des Familienvaters.
Legende: Gespart wird auch beim Essen, meint der Familienvater, der sogar zwei Jobs gleichzeitig nachgehen muss. Ein Lohn reiche nicht aus für eine Familie, sagt er. SRF/Maren Peters

Die beiden Teenager-Kinder sitzen im Wohnzimmer und nicken. Der Sohn träumt von einer Karriere als Software-Ingenieur, seine jüngere Schwester will Finanzwesen studieren. «Wir wollen nicht, dass unsere Kinder so respektlos behandelt werden, wie wir», sagt ihr Vater. «Sie sollen einmal ein besseres Leben haben.»

Echo der Zeit, 28.9.2023, 18 Uhr

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