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Infrastruktur unter Druck Kein Bargeld, kein Benzin, kein Strom in Nigeria

Die Zentralbank wollte per 1. Februar neue Banknoten einführen. Doch diese sind kaum erhältlich. Ebenso wenig das Benzin – und dies, obwohl Nigeria einer der grössten Erdölexporteure der Welt ist.

Ayuba Amadu Gafai steht seit 5 Uhr morgens vor einem der vielen Bankomaten in der Millionenstadt Port Harcourt im Süden Nigerias. Seither konnte er viermal Geld abheben, jedes Mal das Maximum von 5000 Naira, nach offiziellem Kurs rund 10 Franken. Die alten Noten haben die Banken sukzessive aus dem Verkehr gezogen.

Nigerias Zentralbank hatte ursprünglich geplant, dass die alten Noten nur noch bis zum 31. Januar gebraucht werden dürfen. So haben die Nigerianerinnen und Nigerianer die alten Noten auf die Bank gebracht. Doch die neuen Noten werden nur in winzigem Ausmass in Umlauf gebracht. Ein Problem, da die Wirtschaft Nigerias, Afrikas grösste Volkswirtschaft, nach wie vor auf Bargeld beruht.

Kein Bargeld bedeutet Hunger

Menschen wie Ayuba Amadu Gafai, die ihr Geld aus Bankomaten beziehen können, sind in der Minderheit in Nigeria. Laut der Weltbank besitzt mehr als die Hälfte der Bevölkerung kein Bankkonto. Dies trifft auch auf Sira Baridi Baritole zu. Die 32-Jährige sitzt vor ihrem Haus im Dorf Bodo und schält das Wurzelgemüse Maniok. Für sie ist der Bargeldengpass eine Katastrophe. «Ich besitze keinen einzigen Naira mehr. Wir kommen nicht an Bargeld. Wir haben Hunger.»

Zwar hat sie am Morgen Maniok vom Feld geholt, doch dieser muss gemahlen werden, damit er heute essbar ist. Dafür muss sie mit dem Bus zur Mühle fahren. Aber sie hat kein Geld. Auch weil das Busfahren so teuer geworden ist: «Transport ist so teuer, weil wir kein Benzin haben.» Wegen des Benzinengpasses. Unerklärlich. Nigeria war bis vor kurzem Afrikas wichtigster Erdölexporteur.

Benzin für den Generator

An einer Tankstelle ausserhalb von Port Harcourt will Umweltberater Erabanabari Kobah seinen Benzinkanister füllen. Die Schlangen sind kurz, das Benzin kostet hier aber mehr als doppelt so viel. Da müsse er durch, er brauche Benzin für den Generator, sagt der 54-Jährige: «Ohne Strom kann ich mein Handy nicht aufladen.»

Davon spricht in Nigeria derzeit schon gar niemand mehr. Strom ist öfters nicht vorhanden als vorhanden in dem riesigen Land. Die mehr als 210 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner haben sich an das permanente Rattern der Generatoren für die Stromerzeugung gewöhnt.

Bargeldlose Gesellschaft

Weil Erabanabari Kobah wie alle im Land auch kaum mehr Bargeld besitzt, will er mit Karte bezahlen. Der Verkäufer an der Tankstelle hält den Kartenleser in den Himmel, in alle möglichen Richtungen. «Der Kartenleser kann keine Verbindung aufbauen», sagt der junge Mann. «Die Regierung will eine bargeldlose Gesellschaft, aber wir haben nicht einmal Verbindung.»

Sowohl die Telefon- als auch die Internetverbindung in Nigeria funktionieren nur unregelmässig. Das wäre die Grundvoraussetzung für eine bargeldlose Gesellschaft. Kein Bargeld, kein Benzin, kein Strom. Dazu kommt die Inflation, welche im letzten Jahr bei über 20 Prozent lag. Nigeria steckt in einer tiefen Krise. In drei Wochen soll ein neuer Präsident gewählt werden. Was der Engpass für die Wahlen bedeutet, wird sich erst noch zeigen.

Echo der Zeit, 05.02.23, 18 Uhr

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