In mehreren US-Städten haben am Freitagabend erneut Tausende Menschen gegen Rassismus in der Polizei demonstriert. Die Kundgebungen, unter anderem in New York, Atlanta und Philadelphia, verliefen Medienberichten zufolge überwiegend friedlich. Bei der offenbar grössten Demonstration in Atlanta forderten die Teilnehmer Gerechtigkeit.
Justizministerin ruft zur Ruhe auf
Nach den Todesschüssen von Dallas und der Tötung von Afroamerikanern durch Polizisten hat die Diskussion über Rassismus und Diskriminierung in den USA also weiteren Zündstoff erhalten.
Die Tat weckt offenbar auch die Sorge vor Nachahmern. Justizministerin Loretta Lynch rief bereits zur Ruhe auf. In dieser Woche sind in den USA zwei Schwarze von Polizisten erschossen wurden, was landesweit für Entsetzen sorgte.
«Gewalt ist nie eine Antwort»
Die Politikerin appellierte auch an den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Es sei eine Woche tiefen Kummers und herzzerbrechender Verluste gewesen, sagte sie in Washington; auch mit Blick auf die Tode zweier Afroamerikaner binnen zwei Tagen durch Schüsse von Polizisten. «Gewalt ist nie die Antwort», sagte Lynch. «Taten müssen unsere Antwort sein – ruhige, gemeinschaftliche und entschlossene Taten.»
Die Amerikaner müssten sich erinnern, dass sie ein gemeinsames Herz und eine gemeinsame Seele hätten. «Wenden wir uns einander zu, nicht von einander ab.» Auch die US-Waffengesetze sprach Lynch an. Es sei zu einfach, an eine tödliche Waffe zu kommen.
UNO-Chef: Ungleichbehandlung bei Strafverfolgung
Auch aus den Vereinten Nationen kamen mahnende Stimmen. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte: «Es gibt keine Rechtfertigung für solche Gewalt». Er ging aber auch auf den Tod der zwei Afroamerikaner durch Polizeischüsse in den Tagen zuvor ein, die als möglicher Auslöser der Attacke von Dallas gelten. «Diese Tötungen müssen gründlich und unparteiisch untersucht werden. Sie rücken wieder einmal die Notwendigkeit in den Fokus, das Problem der Diskriminierung und Ungleichbehandlung bei der Strafverfolgung anzugehen», sagte Ban.
Wegen Polizeigewalt gegen Schwarze in Städten wie Ferguson, Baltimore oder New York kommt es in den USA seit zwei Jahren immer wieder zu Protesten. Besonders gross ist die Empörung, wenn beteiligte Beamte in Prozessen freigesprochen werden oder niemand angeklagt wird. «Wir leben in einer rassistischen Gesellschaft, in der die Menschenleben von Schwarzen keine Rolle spielen», sagte der Demonstrant Thomas Michaels in der Stadt St. Paul in Minnesota.
Ich denke, wir alle in Minnesota müssen eingestehen, dass diese Form von Rassismus existiert
Auch der Gouverneur des Bundesstaates Minnesota räumte mit Blick auf die Erschiessung eines Schwarzafrikaners in seinem Auto durch einen Polizisten Rassismusprobleme ein. «Wäre das passiert, wenn die Insassen (...) weiss gewesen wären? Ich denke nicht», sagte Mark Dayton. «Ich denke, wir alle in Minnesota müssen eingestehen, dass diese Form von Rassismus existiert.»
Das Thema dürfte auch im Wahlkampf eine Rolle spielen. So erklärte die demokratische Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton bereits am Mittwoch, Vorfälle wie die Tötung eines Schwarzen durch Sicherheitsbeamte in Louisiana beschädigten das Vertrauensverhältnis zwischen den Bürgern und der Polizei. Viele Amerikaner hätten den Eindruck, sie würden wegen ihrer Hautfarbe weniger wertgeschätzt als andere.
Schuld der Schwarzenbewegung?
Noch ist unklar, ob die Tat in Dallas in irgendeiner Beziehung zu der Protestbewegung gegen Polizeigewalt steht. Diese Bewegung hat grossen Zulauf, weil sich an den Missständen im Verhältnis von Schwarz und Weiss in der Gesellschaft wenig ändert.
Da die Bürgerrechtsbewegung «Black Lives Matter» ein nicht immer eindeutig ablehnendes Verhältnis zu Gewalt hat, begann schon Stunden nach der Bluttat eine erregte, gefährliche Debatte: Trägt die Schwarzenbewegung Schuld? Polizeichef Brown allerdings sagt, der getötete Verdächtige habe sich selbst auch gegen «Black Lives Matter» gestellt. «All das macht überhaupt keinen Sinn.»
Wahlkampfauftritte verschoben
Die zwei voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Donald Trump haben angesichts der Bluttat von Dallas jedenfalls Wahlkampfauftritte abgesagt. Sie reagierten beide entsetzt auf die Bluttat.
Das ist nicht der Amerikanische Traum, den wir für unsere Kinder wollen
Clinton verschob am Freitag einen gemeinsamen Auftritt mit US-Vizepräsient Joe Biden in Pennsylvania und Trump annullierte einen Auftritt in Miami. Die USA hätten sich «zu sehr gespalten». Zu viele Amerikaner hätten das Gefühl von Hoffnungslosigkeit. Rassenspannungen hätten zu-, statt abgenommen.
«Das ist nicht der Amerikanische Traum, den wir für unsere Kinder wollen», reagierte Trump. Es sei an der Zeit für «starke Führung, Liebe und Mitgefühl».
Erschossen «während ihrer heiligen Pflicht»
Clinton ihrerseits sagte, sie trauere um die Polizisten, die erschossen worden seien, «während ihrer heiligen Pflicht, friedliche Demonstranten zu schützen». Auch sie hatte sich zuvor schon «besorgt» geäussert über den Tod von zwei Schwarzen durch Polizeigewalt in den Bundesstaaten Lousiana und Minnesota in dieser Woche.
Die Angriffe von Dallas erschüttern die USA zutiefst, und sie werden extrem nachhallen. Nicht nur hat die Polizei - wie das Militär - einen besonderen Platz in der Gesellschaft. Auch die jahrelange Waffendebatte wird nach diesen Schüssen auf bewaffnete Staatsdiener neu befeuert werden.
Obama verkürzt Europareise
Die neu aufkeimenden Spannungen haben denn auch Washington auf den Plan gerufen. Auch für Präsident Obama wird die kommende Woche wohl im Zeichen der Rassismus-Debatte stehen. Das Weisse Haus teilte jedenfalls mit, dass er eine Einladung von Bürgermeister Mike Rawlings nach Dallas für den Wochenanfang angenommen habe und deshalb seine Europareise um einen Tag verkürze.
Das Thema ethnischer Spannungen und einer neuen Gemeinsamkeit von Polizei und Kommunen werde jedenfalls die Präsidenten-Agenda in den nächsten Tagen bestimmen, hiess es.