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Armenien-Debatte im Bundestag.
Legende: Mitglieder der armenischen Initiative «Anerkennung jetzt» danken dem Bundesrat für die Resolution. Keystone

International «Deutschland lässt sich durch Flüchtlingsdeal nicht erpressen»

Die Resolution des Bundestags zum Völkermord an den Armeniern war überfällig und die Reaktion der Türkei absehbar. Dies sagt der SPD-Abgeordnete Dietmar Nietan. Präsident Erdogan werde sich aber genau überlegen, ob er Deutschland wegen dieser Sache vollständig vor den Kopf stossen wolle.

Der Deutsche Bundestag hat eine Resolution verabschiedet, die von einem Völkermord durch das Osmanische Reich am armenischen Volk von 1915 spricht. Das war heikel. Prompt hat die Türkei nun den Botschafter aus Berlin abgezogen.

Führend bei der Ausarbeitung der Resolution war der SPD-Politiker Dietmar Nietan.

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Dieter Nietan: Nach den Ankündigungen der türkischen Regierung war das zu erwarten. Ich gehe aber davon aus, dass es sich um Symbolpolitik handelt und der türkische Botschafter nach einer Weile zurückkehren wird und wir unsere vielen Kooperationen fortsetzen.

Was veranlasst Sie zu dieser Annahme?

Ich bin fest überzeugt, dass Herr Erdogan trotz seiner Impulsivität nicht vergisst, dass die Zahl der mit ihm Kooperierenden nicht mehr sehr gross ist. Wenn seine letzten Verbündeten neben dem saudischen Königshaus noch ein paar andere Staaten umfassen sollen, wird er sich eines genau überlegen. Und zwar, ob er die Bundesrepublik Deutschland jetzt wegen dieser Sache vollständig vor den Kopf stossen will.

Ist sich Präsident Erdogan aber nicht auch bewusst, dass sich Deutschland und die EU mit dem Flüchtlingsdeal von der Türkei abhängig gemacht haben?

Ich würde es andersherum sagen: Wenn die EU oder insbesondere Deutschland heute diese Resolution nicht verabschiedet hätte oder zu anderen Dingen schweigen würde, machten sie sich sicher von Erdogan abhängig. Egal, ob man den Deal gut oder schlecht findet – gefährlich wird es erst, wenn Kritik aus Angst vor dem möglichen Scheitern eines Deals unterlassen wird. Nicht der Deal an sich macht abhängig, sondern wenn man sich damit erpressen liesse.

Hat sich die Bundesrepublik in den letzten Monaten zu sehr abhängig gemacht von der Türkei?

Nein, das glaube ich nicht. Natürlich haben wir uns in ein Abhängigkeitsverhältnis begeben, weil auch die innenpolitische Situation sehr stark davon abhängt, wie viele Flüchtlinge in diesem Jahr noch zu uns kommen. Eine Vereinbarung mit der Türkei ist aber nicht das Problem. Sie darf nur nicht dazu führen, dass wir uns von bisherigen Positionen in erpresserischer Weise abbringen lassen.

Warum hat es im Bundestag mit der Armenien-Resolution so lange gedauert?

Weil viele in den politischen Eliten in Deutschland Angst hatten vor dem, was wir jetzt erleben. Eines der Hauptargumente war: Ja, das war ein Völkermord, aber lasst uns das nicht in eine Resolution schreiben, denn das verärgert die türkische Regierung. Ehrlicherweise würde das aber jede türkische Regierung verärgern und nicht nur die jetzige AKP-Regierung.

Es verärgert zudem viele Menschen, die mit deutschem Pass bei uns leben, deren Eltern oder Grosseltern türkischer Herkunft sind. Aus diesem Grund hat das deutsche Parlament das böse Wort mit V wie Völkermord oder G wie Genozid immer vor sich her geschoben. Wir sehen jetzt, dass das ein Fehler war.

Die Resolution spricht von einer Mitschuld Deutschlands am Völkermord. Wie gross ist diese Mitschuld?

Alle Experten sagen, dass in Fragen von militärischer Logistik und Beratung ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem damaligen Osmanischen Reich und dem damaligen Deutschen Reich bestand. Aufgrund dieser Konstellation unterblieb ein hartes Einschreiten gegenüber dem Vorgehen des türkischen Alliierten.

Ob eine andere Haltung den Völkermord komplett verhindert oder abgeschwächt hätte, kann man nicht sagen. Entscheidend ist aber, dass die Regierung des Deutschen Reiches in sehr zynischer Weise geschwiegen hat – um den türkischen Partner nicht zu verärgern und egal, wie viele Armenier starben.

Wird diese Mitschuld derart betont, damit der Zorn der Türkei nicht so gross ausfällt?

Das hat vielleicht auch eine Rolle gespielt. Bereits in der Resolution des Bundestags von 2005 war allerdings von «Mitverantwortung» die Rede. Es gehört in Deutschland mittlerweile und Gott sei Dank zum grossen Konsens, dass man sich zur Verantwortung in der Geschichte bekennt. Da sind wir aber noch nicht am Ende des Wegs, wie der Völkermord an den Herero und Nama (Kolonie Deutsch-Südwestafrika 1904-1908) zeigt. Dazu hat der Bundestag noch keine Entscheidung getroffen, obwohl sie überfällig wäre.

Die Bundeskanzlerin Merkel und Ihr SPD-Aussenminister Steinmeier haben heute gefehlt. Egal was die Gründe sind – ist das nicht ein Zeichen der Schwäche?

Ich bin unglücklich über den Umstand, dass die Regierungsspitze nicht anwesend war. Ich möchte aber, dass der Aussenminister und die Kanzlerin möglichst viele Optionen haben, um die Gesprächskanäle offenzuhalten. Wenn sich die beiden nun etwas zurückhalten, kann man das nicht so gut finden. Aber es gibt dafür auch Gründe, die nichts mit persönlicher Feigheit zu tun haben, sondern damit, dass eine Regierung auch noch eine andere Rolle spielen muss als ein Parlament.

Das Interview führte Peter Voegeli.

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