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Ein Banner mit einer fallen Saddam-Skultur, von der Blut tropf.
Legende: Diktator stürzen und Demokratie installieren – zu simpel gedacht, findet Nahost-Expertin Inga Rogg. Reuters

International «Die Alliierten sind mitschuldig am Blutvergiessen nach Saddam»

Der Chilcot-Bericht bestätigt: Saddam Hussein wurde mit fragwürdigen Motiven gestürzt. Am meisten litt die irakische Bevölkerung aber nicht unter der Militärinvasion, sagt Nahost-Korrespondentin Inga Rogg: Die Alliierten hatten keinen Plan für eine Nachkriegsordnung.

SRF News: Sie lebten 2003 im Kurdengebiet im Irak. Wie verfolgte die irakische Bevölkerung damals dies Diskussionen im Westen?

Inga Rogg: An den Irakern ging diese Diskussion im Grunde genommen vorbei. Gerade im Südirak, wo die britischen Truppen stationiert waren, war für viele Menschen ohnehin klar, dass Saddam über Massenvernichtungswaffen verfügt und diese auch eingesetzt hat, wie die Kurden damals sagten. Die Opfer des Regimes waren froh, dass Saddam gestürzt wurde.

Die Amerikaner glaubten tatsächlich, es liesse sich auf ganz einfache Weise eine Demokratie im Irak entwickeln.

Der Sunnit Saddam Hussein herrschte damals mit eiserner Hand über die Schiiten. Hielt er das Land damals vor allem durch Repression zusammen?

Inga Rogg

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Legende: ZVG

Inga Rogg ist NZZ-Journalistin und lebt zeitweise im Irak. Zurzeit ist sie in Istanbul. Seit 2003 berichtet sie für die NZZ und die «NZZ am Sonntag» aus dem Irak, seit 2009 ist sie auch für SRF im Einsatz.

In der Tat. Man darf nicht vergessen: 1991 erhoben sich nach dem Golf-Krieg die Schiiten. Saddam schlug den Aufstand und auch denjenigen der Kurden nieder. Insofern ist das Bild, dass der Irak vor dem Einmarsch der Amerikaner und Briten ein stabiles Land war, völlig verzerrt.

Aus Ihren Aussagen höre ich eine gewisse Prise Verständnis für den Einmarsch in den Irak. Im Westen herrscht heute eher ein schlechtes Gewissen, dass man aufgrund der Informationen über vermeintliche Massenvernichtungswaffen einmarschiert ist.

Das Hauptproblem war weniger der Einmarsch oder der Sturz des Regimes. Aus irakischer Sicht war das viel grössere Drama, dass es keine Nachkriegsplanung gab. Die Amerikaner glaubten tatsächlich, es liesse sich auf ganz einfache Weise eine Demokratie im Irak entwickeln – und daraus einen Domino-Effekt schaffen, der die autoritären Regime im Nahen Osten oder auch das iranische, stürzen würde. Das ging nicht auf. Es gab keine Planung, wie der Irak politisch neu organisiert werden und wie das Land nach den vielen Kriegen wiederaufgebaut werden sollte. Das war das eigentliche Fiasko.

2007 wurde bekannt, dass die Geschichte mit den Massenvernichtungswaffen falsch war. Der Krieg ging aber weiter. Wo befand sich der Irak damals?

Er war damals mitten in einem blutigen Konfessionskrieg zwischen Schiiten und Sunniten. Das war das grösste Versagen der Alliierten, also der Amerikaner und der Briten. Sie haben dieses Blutvergiessen nicht verhindert.

Wo sind die Wunden des Krieges heute noch spürbar?

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Man hat es mit diesem riesigen Bombenanschlag im Stadtbezirk Karrada in Bagdad gesehen: Der Terror ist nicht besiegt, der IS treibt weiter sein Unwesen. Die grossen politischen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten sind weiter ungelöst.

Inwieweit kann man sagen, dass der Irak-Krieg das Entstehen des IS begünstigt hat?

Der IS ist aus dem sunnitischen Widerstand gegen die amerikanische Besetzung hervorgegangen. Viele dieser Gebiete wurden nicht wirklich kontrolliert und dort konnte sich die Vorgängerorganisation des IS ausbreiten. Dass es den IS aber heute gibt, hat sehr viel damit zu tun, was nach dem Abzug der Amerikaner 2010 passiert. Und vor allen Dingen mit dem Krieg in Syrien.

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