SRF: Hat der amerikanische Appell, sich nicht in Libyen einzumischen, einen Sinn?
Sonja Zekri: Man muss dazu sagen, an wen sich dieser Appell richtet. Er richtet sich an die regionalen Mächte wie Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate. Die Luftangriffe sollen von den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgeführt worden sein, von ägyptischen Luftwaffenstützpunkten aus. Und offenbar hat die USA grosse Sorge, dass sich aus dem bisher begrenzten libyschen Konflikt, ein regionaler Konflikt entwickelt.
Ägypten und die Arabischen Emirate sehen das anders. Falls das stimmt mit diesen Luftangriffen: Warum tun sie das?
Das, was sich in Libyen abspielt und was für die Aussenwelt sehr verzwickt und komplex aussieht, gehört in ein grösseres Bild von Auseinandersetzungen in der ganzen Region. Grob zusammengefasst ist es eine Auseinandersetzung zwischen arabischen Autokraten und islamistischen Kräften.
Es ist ein Konflikt, der sich in Libyen seit zwei Jahren zugespitzt hat. Er verläuft in Wellen, und die werden immer stärker. Die Islamisten haben die Wahlen verloren. Sie sind jetzt offenbar nicht bereit, ihre Wahlniederlage einzuräumen. Auch deshalb, weil sie die Sorge haben, dass eine politische Niederlage, wie so oft im Nahen Osten, nicht nur politische Auswirkungen hat, sondern mit ihrer Vernichtung einhergeht, dass sie im Gefängnis enden oder getötet werden.
Zu der Rolle der USA: In Irak und Syrien werden die USA militärisch aktiv, weil die Dschihadisten auf dem Vormarsch sind. In Libyen wollen sie sich allerdings raushalten. Ist das nicht ein Widerspruch?
Das ist ein Widerspruch, und es ist auch nicht ganz ehrlich. Denn die USA wurden 2012, als es einen Angriff auf das Generalkonsulat in Bengasi gegeben hat und der US-Botschafter getötet worden ist, militärisch aktiv. Trotzdem hat sich die USA seit den Luftangriffen gegen das Gaddafi-Regime mehr oder weniger aus Libyen rausgehalten. Sie haben sich jedenfalls bei weitem nicht so stark engagiert wie etwa im Irak.
Wenn man sich die Entwicklung im Nahen Osten anschaut, so fluide wie sie ist, stellt man fest, dass es sowohl im Irak als auch in Syrien nicht wirklich eine kohärente amerikanische Aussenpolitik gibt. Es kann sich sehr schnell viel ändern. Die USA haben vor Monaten gesagt, sie würden auf keinen Fall im Irak eingreifen und Luftschläge stünden ausser Debatte. Nun greifen sie doch ein. Möglicherweise engagieren sie sich noch mehr, möglicherweise engagieren sie sich auch in Syrien, möglicherweise werden sie sich auch in Libyen engagieren.
Wann wäre der Punkt erreicht, an dem die USA und ihre Verbündeten sich nicht mehr zurückhalten könnten?
Die USA und Europa haben sich nach dem Sturz von Gaddafi auf die Position zurückziehen können, dass der Konflikt in Libyen nicht Auswirkungen in einem regionalen Ausmass hat wie beispielsweise der in Syrien oder eben im Irak. In Libyen war es ein begrenzter Konflikt, es hat einen Machtkampf gegeben, der sich unter den Milizen und bestimmten politischen Gruppen abgespielt hat. Aber er hat nie diese enormen Auswirkungen gehabt wie beispielsweise der Syrienkonflikt mit Millionen von Flüchtlingen. Man hat deshalb immer geglaubt, man müsse sich nicht um Libyen kümmern. Doch wenn wirklich ein Erosionsprozess in Gang kommt, wie er im Moment droht und wenn sich regionale Mächte einmischen, dann wird sich die Welt wieder um Libyen kümmern müssen.
Die Entwicklung kann auf den Zerfall des Staates hinauslaufen und die Region, sprich Tunesien und Ägypten, in weiterem Masse destabilisieren.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.