Die Gemeindewahlen in Südafrika bestätigen die tiefe Krise des African National Congress (ANC). Selbst in der Hafenstadt Port Elisabeth, wo einst die Rassentrennung tobte, wählten Schwarze die Democratic Alliance (DA) der Weissen. Beobachter sprechen von einem Weckruf für den ANC. Antworten vom früheren SRF-Afrika-Korrespondenten Ruedi Küng.
SRF News: Ist sich der ANC bewusst, dass er die Erwartungen der Bevölkerung nicht erfüllt hat?
Ruedi Küng: Die Partei ist sich ihrer Krise durchaus bewusst und weiss, dass sie sich wieder um die Menschen bemühen und ihnen etwas bieten muss. Zur Werbung im ganzen Land wurde alles aufgeboten, was sich noch von der Zentrale aus steuern lässt. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist gross. Die Proteste in Südafrika sind so häufig wie sonst nirgendwo auf dem Kontinent.
Was stört die Menschen so sehr, dass ein Teil von ihnen der Partei ihres Nationalhelden Nelson Mandela den Rücken kehrt?
Viele Menschen stören sich aus unterschiedlichen Gründen. Da gibt es etwa die Wut über die korrupte Verwaltung und die Machtanmassung von Präsidenten Zuma oder die nicht funktionierenden Dienstleistungen. Gleichzeitig lieben und verehren viele Menschen Zuma, weil er so stark ist. Die Probleme der ländlichen Bevölkerung unterscheiden sich von jenen der Städter. Diese wollen Karriere machen, Jobs, Erfolg und ein angenehmes Leben. Auch die Arbeitslosigkeit von offiziell 27 Prozent, die vor allem die Jungen trifft, ist ein starker Grund, die Hoffnungen vermehrt in eine andere Partei zu setzen.
Seit einiger Zeit gibt es Stimmen, die den ANC totsagen. Zu Recht?
Das sehe ich überhaupt nicht so. Gerade die innere Zerstrittenheit ist auch ein politischer Streit um Linie, Programme und Prioritäten. Es gibt viele Kräfte, die den bestehenden Machthabern um Zuma die Stirn bieten. Der ANC durchläuft eine tiefe und schwere Krise, aber er ist sicher nicht am Ende. Er wird sich neu erfinden müssen, und er wird sich nicht überall gleich erfinden. Gerade in den Städten wird der ANC sehr viel lernen und sich auch wandeln, wenn es jetzt zu einer politischen Zusammenarbeit mit der Demokratischen Allianz kommen sollte.
Was bedeutet das für Südafrika, wenn die Vormacht des ANC gebrochen wird?
Ich sehe das rundweg positiv. Es beginnt nun so etwas wie eine demokratische Polit-Ausmarchung. Auf die Dominanz des ANC, die auch etwas sehr Emotionales hat, folgt nun eine Ernüchterung und andere politische Kräfte kommen ins Spiel. Wenn nun Städte wie Johannesburg oder Port Elizabeth tatsächlich Koalitionsverwaltungen erhalten, ist das ein sehr positives Zeichen für eine bessere Zukunft für Südafrika.
Also die Zusammenarbeit einer schwarz dominierten und einer weiss dominierten Partei – ein Traum, den auch Nelson Mandela hätte träumen können?
Das würde ich nicht so trennen. Die Demokratische Allianz kann heute nicht mehr nur als weisse Partei betitelt werden, wie das der ANC gerne tut. Da hat sich längst etwas Neues gebildet. Zugleich gibt es noch Dutzende andere Parteien, darunter die Economic Freedom Fighters von Julius Malema. Da findet eine weitere Ausmarchung am linkgerichteten, populistisch-radikalen Flügel statt. Auch das ist ein Element der neuen Politik. Es stimmt nachdenklich und kann Sorge bereiten, gehört aber eben auch zur politischen Landschaft Südafrikas.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.