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International «Humanitäre Arbeit steckt immer in einem Dilemma»

Während in New York die UNO-Generalversammlung im Gang war, wurde in Syrien ein Hilfskonvoi angegriffen. IKRK-Präsident Peter Maurer versucht, dafür zu lobbyieren, dass humanitäre Hilfe geleistet werden kann. Denn das ist im Syrien-Konflikt längst nicht mehr selbstverständlich.

Peter Maurer

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Der Schweizer Diplomat war von 2004 bis 2010 Chef der Ständigen Mission der Schweiz bei der UNO. Danach war er Staatssekretär im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten. Seit dem 1. Juli 2012 ist Maurer Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz.

SRF News: Es kursieren vor allem Behauptungen und Schuldzuweisungen zu dem Angriff auf einen humanitären Konvoi bei Aleppo. Was weiss man bisher?

Peter Maurer: Es gibt viele Gerüchte. Früher oder später werden sich unabhängige Untersuchungskommissionen Klarheit darüber verschaffen. Wir haben im Augenblick keine näheren Hinweise, die uns erlauben würden, ein Urteil zu fällen. Wir wissen aber, dass unsere Kolleginnen und Kollegen des syrisch-arabischen roten Halbmondes tief erschüttert sind, und wir sind es auch, mit ihnen.

Bei der Attacke sind auch humanitäre Helfer umgekommen. Ist das Leisten von humanitärer Hilfe mittlerweile etwas Hochgefährliches geworden?

Humanitäre Arbeit war nie ohne Risiko. Aber man muss ehrlicherweise sagen, dass heute erwartet wird, dass humanitäre Organisationen viel näher am Konfliktherd arbeiten als früher. Aber es ist per se ein gefährliches Geschäft. Die Politisierung humanitärer Arbeit hat nicht dabei geholfen, die Arbeit sicherer zu machen. Wenn die humanitäre Arbeit nicht mehr von allen Seiten akzeptiert wird und als neutral, unabhängig und unparteilich konzipiert wird, muss man sich nicht wundern, wenn die Kriegsparteien finden, sie könnten auch humanitäre Arbeiter angreifen. Denn diese werden dann eben wahrgenommen als Teil einer allenfalls nicht gewollten politischen Gesamtlösung.

Es steht auch der Vorwurf im Raum, die UNO habe in Syrien die Regime-Seite bevorzugt, habe sich teils Zugänge erkauft mit Aufträgen an regierungsnahe Kreise. Gibt es auch ökonomische Forderungen an das IKRK in Syrien?

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Der wesentliche Punkt ist, dass humanitäre Arbeit immer in einem Dilemma ist. Auf der einen Seite müssen wir mit den jeweiligen Regierungen arbeiten, um in den Konflikten humanitäre Arbeit leisten zu können. Damit begibt man sich in einen Widerspruch, weil Regierungen auch Kriegsparteien sind. Ich muss ganz offen sagen: In jedem Konflikt wird es immer wieder Vorwürfe geben, dass man hier oder da die einen oder anderen privilegiert hat. Man kann nicht jeden Tag auf die Kilokalorie genau messen, ob diese oder jene Gruppe mehr Hilfe erhalten hat. Ich gehe davon aus, dass die UNO und das IKRK und auch andere NGOs, die vor Ort sind, versuchen, so unabhängig und unparteilich wie möglich zu sein. Doch «so unabhängig und unparteilich wie möglich» ist eben nicht gerade viel, wenn die Kriegsparteien diese Räume nicht respektieren.

Stimmt der Eindruck, dass die humanitäre Hilfe gerade im Syrienkonflikt besonders politisiert ist?

Ja. Wir haben das bei der Deblockierung der humanitären Hilfe für besonders umzingelte Gebiete gesehen. Es herrscht immer diese Parallelität: Ich gebe dir Zugang hier, wenn du mir Zugang dort verschaffst. Das ist das Grundmuster von Politik, nicht von humanitärer Arbeit. Wir sind konzeptionell heute bei ganz vielen Konflikten weit davon entfernt, humanitäre Arbeit nach Drehbuch zu leisten. Wir sind immer mehr verpflichtet, mühsam zu verhandeln, um minimale Spielräume von Glaubwürdigkeit, Neutralität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu wahren. Das Problem ist, dass heutzutage die Staaten und Parteien, insbesondere im syrischen Konflikt, diese Unabhängigkeit und Unparteilichkeit geringschätzen.

Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.

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