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International «Der Waffenstillstand in Syrien ist nicht mehr zu retten»

Der Angriff auf einen UNO-Hilfskonvoi sei eine neue Dimension im Bürgerkrieg in Syrien, sagt ARD-Korrespondent Björn Blaschke. Nun sei der Waffenstillstand, den Russland und die USA aushandelten, wohl Makulatur. Für Friedensverhandlungen sieht er derzeit ebenfalls schwarz. Vor allem aus einem Grund.

SRF News: Wer steckt hinter dem Angriff auf den UNO-Hilfs-Konvoi?

Björn Blaschke: Die Amerikaner sagen, sie selber und die gesamte Anti-IS-Koalition stecken nicht dahinter. Die sind in diesem Gebiet auch gar nicht aktiv, soweit ich weiss. Gehen wir von einem Luftangriff aus, wie es am Dienstag hiess, auch wenn die UNO nun etwas zurückrudert: Da bleiben in diesem Luftraum nur syrische oder russische Kampfflugzeuge oder Hubschrauber als Urheber. Zudem gibt es dahingehende Aussagen von Augenzeugen. Sie stammen zwar von Aktivisten, die Gegner von Russland und Assad sind, deren Aussagen man sich aber trotzdem anhören muss. Allerdings sind sämtliche Punkte nur Indizien und keine Beweise.

Björn Blaschke

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Björn Blaschke ist ARD-Korrespondent und leitet das Büro des Senders in Kairo. 1997 wurde er von der Kölner Rundfunkanstalt angestellt und drei Jahre später zur Vertretung ins ARD-Studio Amman/Jordanien geschickt. Von 2002 bis zum 2008 war er fester ARD-Korrespondent in Amman. Unter anderem berichtete er aus dem Irak- und dem Libanon-Krieg.

Die UNO hat als Folge des Angriffs alle Hilfslieferungen eingestellt. Was bedeutet das für die Menschen in Syrien?

Für die rund 500'000 Zivilisten, die im ganzen Land von Regierungskräften oder der Opposition eingeschlossen und belagert sind, bedeutet das noch weniger Hoffnung, dass sie mit Nahrungsmitteln versorgt werden können. Es gibt aber auch Zivilisten, die zwischen den Fronten sind und bisher immer wieder Hilfe der UNO bekommen haben. Insgesamt sind also mehr als eine Million Menschen von Hilfe abgeschnitten.

Etwas zynisch gefragt: Merken diese Menschen überhaupt, dass die Hilfslieferungen eingestellt sind? Denn erreicht hat sie bisher ja fast keine.

Wir sprechen immer von Aleppo, das schwer zu erreichen ist. Die anderen haben in der Vergangenheit immer wieder Hilfslieferungen erhalten. Zwar nicht so viel, wie man sich das von Seiten der Vereinten Nationen wünscht. Aber man hat es immer wieder geschafft, Nahrungsmittel zu bringen. Diese Menschen werden es merken. Das heisst aber nicht, dass sie sofort verhungern. Die Schwarzmärkte funktionieren nämlich ziemlich gut. Es kommen auch Nahrungsmittel in den Osten von Aleppo hinein. Es ist also etwas da, aber die Preise sind unheimlich hoch.

Der syrische Bürgerkrieg ist eine traurige Abfolge von Menschenrechtsverletzungen und Grausamkeiten. Ist dieser Angriff auf einen Hilfskonvoi nun aber selbst für diesen Konflikt eine neue Dimension?

Soweit ich weiss gab es bisher keinen Angriff auf einen Hilfskonvoi. So gesehen, ist es eine neue Dimension. Alle anderen Grausamkeiten, die man sich kaum vorstellen mag, hat es aber gegeben: Es sind rote Linien überschritten worden, weil es zum Einsatz von chemischen Waffen kam. Es wird gefoltert und nicht nur auf dem Schlachtfeld regelrecht gemordet. Der Angriff auf den Hilfskonvoi ist deshalb ein weiteres Mosaiksteinchen in diesem Bild des Schreckens.

Ist der zerbrechliche Waffenstillstand, den die USA und Russland ausgehandelt haben, nach diesem Angriff noch zu retten?

Ich denke, er ist jetzt nicht mehr zu retten. Das hat damit zu tun, dass die Regierung in Damaskus ihr Ziel klar formuliert hat: Die Rückeroberung der Kontrolle über das ganze Land. Am Montag vor einer Woche, als der Waffenstillstand begonnen hatte, war Baschar al-Assad öffentlich aufgetreten und sagte genau das. Die Führung in Damaskus will Frieden. Aber einen, den sie selber diktiert. Über einen Waffenstillstand kann sie das nicht erreichen.

Die USA und Russland sind zerstritten, Assad will weiterkämpfen: Das klingt so, als wäre Syrien weit entfernt von Friedensgesprächen oder gar einem Abkommen.

Mit Assad wird es keinen Frieden geben, weil er als Staatspräsident für Hunderttausende Menschenleben verantwortlich gemacht wird. Das hat die Opposition sehr deutlich gemacht. Mittlerweile sagen das – hinter vorgehaltener Hand – aber auch russische Beobachter: Sie wollen zwar die Führung in Damaskus als Institution beibehalten, beharren aber nicht auf Assad als Staatspräsidenten. Solange dieser aber an der Macht bleibt, wird ein Frieden meiner Meinung nach nicht möglich sein.

Das Gespräch führte Andrea Christen.

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