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Britische Panzer unterwegs auf einer staubigen Strasse in Irak.
Legende: Zu früh dem Schicksal überlassen: Britische Truppen ziehen sich 2007 aus Basra zurück. Keystone

International «Nach dem Abzug der Briten brach das Chaos aus»

«Völlig unzureichend» seien die Pläne für die Nachkriegszeit in Irak gewesen, kritisiert der Chilcot-Bericht die Beteiligung Grossbritanniens an der Invasion im Jahr 2003. Was das bedeutet, erzählt Journalistin Birgit Svensson am Beispiel von Basra, der drittgrössten Stadt des Landes.

Birgit Svensson

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Die deutsche Journalistin lebt seit Beginn der US-Invasion im Jahr 2003 in Irak. Sie berichtet unter anderen für «Die Zeit» und «Die Welt». 2015 erschien ihr Buch «Mit den Augen von Inana», in dem Irakerinnen über ihr Leben in dem zerrissenen Land schreiben.

SRF News: Hat die Bevölkerung von Basra überhaupt Interesse am britischen Untersuchungsbericht?

Birgit Svensson: Am Bericht selber nicht. Allerdings beschäftigt man sich hier stärker mit den Briten als in der irakischen Hauptstadt Bagdad, wo die Amerikaner stationiert waren. In Basra denken viele, dass die Briten zu früh abgezogen seien und die Bevölkerung im Stich gelassen hätten.

Die Briten haben sich früher als die Amerikaner aus Irak zurückgezogen. War das ein Fehler?

Ja, auf alle Fälle. Die Briten haben die Stadt schon 2007 verlassen und sich an den Flughafen zurückgezogen. Das war viel zu früh, das hat man sofort gemerkt. Die schiitischen Milizen trieben danach ihr Unwesen in Basra, worauf der damalige Premier Nuri Al Maliki die irakische Armee entsandte. Seither halten die Kämpfe dort an. Dieser Ausbruch des Chaos war eine direkte Folge des Rückzugs der Briten aus der Stadt.

Leiden die Menschen in Basra denn unter den schiitischen Milizen?

Ja sehr. Ich war öfters in der Stadt, zum letzten Mal in den Monaten April und Mai. Da leitete ich eine Schreibwerkstatt für irakische Frauen. Diese sagten mir, dass sie stark unter dem Einfluss Irans leiden. Laut will das dort niemand sagen. Die schiitischen Milizen streiten zudem nun untereinander um die Macht über Basra. Sie haben die Stadt in verschiedene Viertel unter Kontrolle rivalisierender schiitischen Milizen eingeteilt. Die irakische Armee ist in einem Ring rund um die Stadt aufgestellt und hat überhaupt keinen Einfluss auf das Geschehen in Basra selbst.

Sie haben den Einfluss des Irans angesprochen. Wie sieht der konkret aus?

Der Einfluss ist bereits auf der Strasse zu erkennen: Als die Briten da waren, gingen weniger verschleierte Frauen durch die Strassen als jetzt. Einige sind nun sogar ganz verschleiert unterwegs. Sämtliche Toppositionen sind von Iranern oder mindestens von iranisch-stämmigen Irakern besetzt. Dabei darf man nicht vergessen: Viele Iraker hielten sich während des acht Jahre dauernden, blutigen Kriegs gegen Iran im Exil in Iran auf. Nach dem Sturz von Saddam Hussein kamen diese Menschen zurück und brachten den iranischen Einfluss mit nach Basra. Da es keine Balance mehr gibt, nimmt dieser Einfluss nun Überhand.

Wie kommt das bei der Bevölkerung an?

Die Rückkehrer und deren Angehörige sind sehr pro Iran. Sie haben im Moment aber auch schlicht keine andere Wahl, der Iran überschwemmt alles. Auch auf den Märkten und in den Geschäften gibt es überall iranische Ware. Hinter vorgehaltener Hand sagen viele, sie wünschten sich mehr westlichen, mehr britischen Einfluss. Sie wünschen sich, dass die Briten mehr investieren, mehr Handel treiben und zivil mehr präsent sind.

Zurzeit wird heftig über eine mögliche Unabhängigkeit Basras von Bagdad diskutiert. Das freut Iran.

Ist denn Basra nach dem Abzug der Briten wirtschaftlich überhaupt wieder auf die Beine gekommen?

Das ist eben das Merkwürdige: Basra ist eigentlich die reichste Stadt der Welt. Sie pumpt über zwei Millionen Fass Öl pro Tag. Das muss man sich mal vorstellen! Die Region, die Provinz und die Stadt kriegen pro Fass zwischen zwei und fünf Dollar. Basra sollte also eigentlich blühen. Stattdessen versinkt die Stadt im Chaos und in Korruption. Jeder füllt seine Taschen. Basra sieht aus wie eine Dritte-Welt-Stadt. Ich bin bei jedem Besuch schockiert zu sehen, wie heruntergekommen die Stadt immer noch ist.

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Welche Zukunft hat Basra?

Zurzeit wird heftig über eine mögliche Unabhängigkeit Basras von Bagdad diskutiert. Die Separationsbestrebungen sind also nicht nur im Norden des Landes präsent, sondern auch im Süden. Die Bewohner Basras haben Unterschriften für eine Volksbefragung zur Unabhängigkeit Basras von Bagdad gesammelt. Auch alle Provinzräte und der Gouverneur fordern mehr Autonomie, damit sie mit den sogenannten Petrodollars, die sie bekommen, selber Dinge anschieben können, um der Stadt wieder auf die Beine zu helfen.

Eine Unabhängigkeit von Bagdad würde aber den Einfluss Irans noch vergrössern.

Ja, auf alle Fälle. Iran würde ganz klar stark davon profitieren. Und das freut das Nachbarland natürlich. Bereits jetzt wird in Basra gemunkelt, dass die Stadt eine iranische Provinz sei.

Das Gespräch führte Barbara Büttner.

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