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International Routinierte Feindschaft im Nahen Osten

Der israelische Premierminister Netanjahu macht die Hamas für die Ermordung der drei Israeli in der Westbank verantwortlich und drohte mit Vergeltung. Drei Tage später ist die Rede von einem Waffenstillstand. Zvi Bar’el, Redaktor bei der Zeitung «Haaretz», und erklärt, wie das möglich ist.

«‹Den Preis bezahlen.› Diese Drohung Netanyahus ist nichts anderes als ein Codewort für: Wir werden nichts tun. Jedenfalls nicht jetzt», sagt Zvi Bar'el von der liberalen Zeitung «Haaretz» in Tel Aviv. Er ist der Experte der Zeitung für die Beziehungen zur arabischen Welt. Israel habe keinerlei Interesse an einer Eskalation an seiner Südflanke im Gazastreifen, dort wo die Hamas ihre Hochburg hat. Und auch nicht an einem Flächenbrand in der Westbank, dem anderen Teil des Palästinensergebiets.

Das seien die üblichen martialischen Gebärden, während im Hintergrund schon wieder eine Verständigung gesucht werde, sagt Bar'el. Hier laufe ein eingespielter Dialog nach dem Muster: «Wir wissen, dass wir uns gegenseitig beschiessen müssen. Aber lasst uns schnell zum Waffenstillstand kommen.»

Entspannung unter Raketenbeschuss

Ein israelischer Armeesprecher sagte dies sogar explizit in den arabischen Medien: «Wir bieten Ruhe gegen Ruhe», sagte er. Auch die Hamas signalisierte ihre Bereitschaft zur Entspannung, während gleichzeitig noch die Raketen flogen.

Hintergrund dafür sei das komplexe Verhältnis, das die beiden Erzfeinde in Tat und Wahrheit zueinander haben. Beide Seiten beschimpften sich gegenseitig als islamistische Terroristen oder zionistische Besatzer. «Die martialische Rhetorik ist Teil der Beziehung. Doch beide Seiten wissen sehr wohl, dass sie aufeinander angewiesen sind. Und in der Praxis verhalten sie sich danach», sagt Bar'el. Es wirkt wie eine routinierte Feindschaft, in der sich beide Seiten eingerichtet haben.

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Hamas nicht ernsthaft gefährdet

Nur die Hamas sei stark genug, um den Gazastreifen unter Kontrolle zu halten – davon sei die israelische Regierung überzeugt. Israelische Luftangriffe treffen jeweils die Bewegung, fordern Tote, aber sie gefährden die Hamas nie ernsthaft, so der Tel Aviver Redaktor und Politexperte.

Auch die Hamas hat kein Interesse an einer Konfrontation – umso weniger, seit sie im arabischen Raum in die Defensive geraten ist. Sie steht ideologisch den Muslimbrüdern nahe, die in Ägypten seit einem Jahr wieder als Terroristen verfolgt werden.

Doch die Ereignisse dieser Woche in der Westbank haben Druck erzeugt, das von Bar'el beschriebene Verhältnis zwischen Hamas und Israel aufzukündigen. Hardliner auf der rechten Seite von Netanyahus Kabinett forderten Rache, bis hin zur völligen Zerstörung der radikalislamischen Bewegung. Dies wäre die Vergeltung für den Tod der drei israelischen Religionsschüler, die in der Westbank ermordet wurden.

Der «Haaretz»-Experte geht zwar davon aus, dass die Führung der Hamas über die Entführung der drei Religionsschüler gar nicht im Bild war. Netanyahu werde der Stimmung in seinem Kabinett dennoch Rechnung tragen müssen, sagt er. Wenn er die Hamas im Gazastreifen nicht schwächen wolle, werde er neue jüdische Siedlungen in der besetzten Westbank bewilligen.

Siedlungen als Ventil

Bar'el vermutet, dass Netanyahu dieses Ventil wählen wird, um die Radikalen in seinen eigenen Reihen zu beruhigen, und zwar ungeachtet der Wut, die er damit im palästinensischen Lager provoziert. Die Bedingung dafür sei jedoch, dass der Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen tatsächlich aufhört, dass die beidseits erhoffte Waffenruhe kommt und hält.

In der Westbank hat die israelische Regierung während der Suche nach den drei Teenagern und ihren Entführern hunderte Palästinenser festgenommen, viele von ihnen Angehörige der Hamas. Doch Bar'el sieht auch darin mehr Aktivismus fürs israelische Fernsehkameras als zielführende Sicherheitsoperation. «Selbst wenn man 400 Hamasmitglieder verhaftet, kann man nicht glauben, damit die radikalislamische Organisation ernsthaft schwächen zu können, sagt der Experte der Zeitung «Haaretz».

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