SRF: Wie ist die aktuelle Situation in den Flüchtlingslagern?
Achim Vogt: Der zweite grosse Wintersturm ist vorbei, die Kälte und der Schnee sind aber geblieben. Die Temperaturen steigen zwar in den Ebenen und an der Küste. Aber nicht in den Bergen, wo sehr viele Flüchtlinge leben, ja überleben. Und damit ist die Situation für hunderttausende von Flüchtlingen auch weiterhin prekär.
Der Schnee ist also weiterhin ein Thema. Wie sieht die Versorgungslage aus. Sind die Strassen überhaupt befahrbar?
Im Wesentlichen ist die Versorgung gesichert, auch wenn es weniger als benötigt ist. Offizielle Hilfslieferungen, wie beispielsweise der Vereinten Nationen können seit dem Wochenende wieder von der Hauptstadt Beirut in die Lager gelangen. Auch private Hilfslieferungen können wieder abgewickelt werden. Zuvor waren einige Bergstrassen wegen Eis und Schnee gesperrt.
Die Menschen im Libanon organisieren also auch private Hilfslieferungen und bringen diese eigenständig in die Flüchtlingslager?
Es gibt einige solcher Organisationen. Beispielsweise wurde am vergangenen Samstag ein ganzer Konvoi in drei verschiedene, besonders betroffene Lager geschickt. Die Lieferungen umfassten Winterkleidung, aber auch Heizöl. Dies zeigt vor allem eines: Zwar glaubt die Mehrheit der Libanesen mittlerweile, dass das Land nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen kann. Aber für die Flüchtlinge, die da sind, gibt es doch eine grosse Solidarität – neben Hilfslieferungen auch in Form von Geldspenden.
Als im letzten Jahr der millionste Flüchtling registriert wurde, wurde auch psychologisch eine Schwelle überschritten.
Sie zeichnen ein gemischtes Bild. Zuletzt hörte man ja vor allem von den neuen, erschwerten Einreisebedingungen für syrische Flüchtlinge. Es gibt also nach wie vor eine grosse Solidarität im Land?
Die Lage stellt sich sehr differenziert dar. Als im letzten Jahr der millionste Flüchtling registriert wurde, wurde auch psychologisch eine Schwelle überschritten. Seither hat sich die Stimmung sowohl bei der Bevölkerung als auch der Politik gewandelt, die natürlich nachziehen musste. Aber wenn es nötig ist, gibt es nach wie eine sehr breit abgestützte Solidarität, die sich im Praktischen zeigt. Es gibt relativ viele Flüchtlinge, die gerade Geld für das Nötigste haben. Sie sind auf die lokale Bevölkerung, ihre direkten Nachbarn angewiesen. Diese Hilfe bekommen sie nach wie vor.
Das erklärte Ziel der libanesischen Regierung ist, die Zahl der Flüchtlinge dauerhaft zu verringern. Doch damit fangen die Probleme im Praktischen an.
Es gab von Seiten der Hilfsorganisationen Kritik an den neuen Einreisebestimmungen. Diese gelten nun seit einer Woche. Welche Erfahrungen hat man bislang damit gemacht? Werden nun wirklich Menschen abgewiesen?
Es ist noch zu früh, die Situation an den Grenzen abzuschätzen. Doch die Kritik bleibt. Sie wird von Libanesen genauso wie von internationalen Organisationen und Botschaften geäussert.
Denn die Umsetzung dieser neuen Vorschriften ist in vielen Fällen unklar: Was sind humanitäre Notfälle, die von den Visa-Bestimmungen ausgeschlossen sein sollen? Wie finden etwa die sogenannten Kurzzeit-Visa Anwendung, die eine Einreise für 24 Stunden erlauben? Das erklärte Ziel der libanesischen Regierung ist, die Zahl der Flüchtlinge dauerhaft zu verringern. Doch damit fangen die Probleme im Praktischen an.