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International «Viele Israelis sehen ihr Land in einer ausweglosen Situation»

Heute wählen die Israelis ein neues Parlament. Premier Benjamin Netanjahu ist unter Druck, sein Konkurrent Jitzchak Herzog könnte ihn aus dem Amt drängen. Wie gross sind seine Chancen? SRF-Korrespondent Pascal Weber mit einer Einschätzung aus Tel Aviv.

SRF: Was entscheiden die Wähler in Israel heute Abend?

Pascal Weber: Heute Abend werden die 120 Sitze der Abgeordneten im israelischen Parlament – der Knesset – gewählt. Die Sitzzahl bestimmt, welche Parteien die besten Chancen haben, eine Regierungskoalition zu bilden. Nach der Wahl trifft der Präsident Israels, Reuven Rivlin, alle Parteiführer in der Knesset. Gemeinsam schlagen sie einen von ihnen als Ministerpräsident vor. Dieser hat danach 42 Tage Zeit, eine Regierungskoalition mit einer Parlamentsmehrheit von mindestens 61 Sitzen zu bilden.

Die Koalition des jetzigen Premiers Benjamin Netanjahu ist nach zwei Jahren auseinander gebrochen. Umfragen sehen das Mitte-links-Bündnis zwischen seinem Konkurrenten Jitzchak Herzog und der ehemaligen Justizministerin Tzipi Livni vor Netanjahus Likud-Partei. Warum ist der Premier unter Druck?

Die Bedeutung der Sicherheitspolitik – Netanjahus Schwerpunkt – hat für die israelische Bevölkerung abgenommen. Soziale Themen wie Ungleichheit und Wohnungsnot sind wichtiger geworden. Viele Israelis sehen ihr Land in einer ausweglosen Situation und wollen daher einen Wandel. Auch innerhalb Netanjahus Likud-Partei ist die Kritik lauter geworden. Ein Sieg Herzogs wäre daher weniger ein Votum für Herzog als Premier als eines gegen den Status quo mit Netanjahu.

Sollte Netanjahu trotzdem gewinnen: Mit wem könnte er Israel künftig regieren?

Das Feld ist, wie immer in Israel, völlig offen. Netanjahu wird sich um die Unterstützung des Aussenministers Avigdor Lieberman und der rechtsnationalen und ultra-orthodoxen Parteien bemühen. Entscheidend wird sein, wie sich die Mitte positioniert.

Porträt eines lächelnden Mannes, im Hintergrund die Flagge Israels
Legende: Herzog gilt als ruhig, sogar konturlos. Genau das könnte ihm gegen den lauten Netanjahu nun zum Sieg verhelfen. Reuters

Wer würde bei einem Sieg Herzogs zum Königsmacher avancieren?

Die israelische Parteilandschaft ist so zersplittert, dass viele als Königsmacher fungieren können. In der israelischen Politik ist immer alles möglich, jeder redet mit jedem. Auch Partnerschaften, die öffentlich von vornerein ausgeschlossen werden, können am nächsten Tag möglich sein. So hat Netanjahu eine grosse Koalition zwischen seiner Likud-Partei und dem Mitte-links-Bündnis von Herzog und Livni ausgeschlossen. Je nach Ausgang der Wahlen wäre eine solche Partnerschaft mit Herzog als Premier angesichts der Unzufriedenheit innerhalb Netanjahus Partei aber durchaus nicht auszuschliessen.

Im Falle eines Sieges der Zionistischen Union von Herzog und Livni würden sie sich das Amt des Ministerpräsidenten teilen, hiess es im Vorfeld der Wahlen: Zwei Jahre Herzog, zwei Jahre Livni. Ist das ungewöhnlich?

Pascal Weber

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Seit 1999 arbeitet Weber für SRF. Als Redaktor und Produzent war er zunächst in der Sportredaktion tätig, danach bei «10vor10». Seit September 2010 ist er Korrespondent im Nahen Osten. Folgen Sie ihm auf Twitter.

Tzipi Livni hat gestern Abend verkündet, sie würde auf ihre zwei Jahre verzichten. Das liegt möglicherweise daran, dass Herzog im Mitte-links-Lager wirklich Chancen auf einen Sieg zugeschrieben werden und er als alleiniger Premier möglicherweise mehr Stimmen holen könnte.

Hätte Israel einen Adelsstand, würde Jitzchak Herzog dazugehören. Immer wieder wird seine Familie – darunter der erste Oberrabbi des Landes, der sechste Präsident Israels und ein amtierender General der Armee – mit den Kennedys verglichen. Schmälert das seinen Rückhalt in der Bevölkerung?

Seine Herkunft ist eher ein Vorteil. Zudem wird er als Anti-Netanjahu angeschaut: Kein Mann der starken Töne, weitgehend ohne Charisma, mit professorenhaftem Auftreten. Genau das ist es, was diejenigen Israelis suchen, die Netanjahus lauter Politik überdrüssig sind.

Netanjahu fährt einen ultra-nationalistischen Kurs, der zuletzt sogar das Verhältnis zu US-Präsident Barack Obama beeinträchtigte. Wird sich die Beziehung zum wichtigsten Verbündeten USA weiter verschlechtern, sollte Netanjahu im Amt bleiben?

Das Verhältnis zu Obama ist gestört, aber nicht zur USA als Ganzes. Die einflussreiche jüdisch-amerikanische Diaspora unterstützt Netanjahu zumindest teilweise immer noch und seine aggressive Politik gefällt den republikanischen Hardlinern. Solange Obama an der Macht ist, wird das Verhältnis zwischen der US-Regierung und Israel unter Netanjahu belastet sein. Unter Hillary Clinton oder einem Republikaner dürfte sich dies auch unter Netanjahu wieder bessern.

Inwiefern spielt der Gazakrieg im letzten Sommer für die Wahlen eine Rolle?

Ein Mann hebt seine Hand, von der Seite fotografiert.
Legende: Obwohl zunehmend unter Druck, hat der mit allen Wassern gewaschene Netanjahu intakte Chancen, im Amt zu bleiben. Reuters

Er spielte in den Wahlkampagnen keine Hauptrolle. Insofern ist er aber wichtig, als dass viele Israelis desillusioniert sind. Israel interveniert im Zwei-Jahres-Rhythmus im Gaza-Streifen, die Sicherheitslage hat sich aber nicht verbessert. Das führt zu Unzufriedenheit mit dem Kurs der jetzigen Regierung. Ob sich das bei den heutigen Wahlen bereits entscheidend durchschlägt oder erst in vier Jahren, wird sich zeigen.

Netanjahu will mehr jüdische Siedlungen im Palästinensergebiet, Herzog neue Friedensgespräche. Was ist von der künftigen israelischen Regierung in Bezug auf den Palästinenserkonflikt zu erwarten?

Unter Netanjahu sind neue Friedensgespräche so gut wie ausgeschlossen. Das Verhältnis zu den Palästinensern wird sich weiter verschlechtern, die Gefahr von Anschlägen wird zunehmen. Mit Herzog als Premier sind die Chancen zumindest auf die Aufnahme von direkten Gesprächen viel höher. Wieviel Herzog innerhalb der zersplitterten Parteienlandschaft erreichen könnte, ist zwar offen. Eine Entschärfung der Debatte über eine Lösung des Palästinenserkonflikts wäre aber schon eine deutliche Veränderung in der israelischen Politik.

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