Zum Inhalt springen
Türkische Soldaten mit Plexiglas-Schutzschilden gehen auf ein gepanzertes Militärfahrzeug zu.
Legende: In Absprache mit der USA soll im Norden Syriens eine Schutzzone entstehen. So einfach geht das aber nicht. Reuters

International «Wir bewegen uns in einer völkerrechtlichen Grauzone»

Die Türkei plant, eine Schutzzone im Grenzgebiet zu Syrien einzurichten. Dort sollen über eine Million Flüchtlinge angesiedelt werden. Kritik kommt von der UNO. Sie befürchtet, deren Sicherheit könne nicht gewährleistet werden. Sicherheitsexperte Markus Kaim teilt diese Sorge.

Markus Kaim

Box aufklappen Box zuklappen
Porträt Markus Kaim
Legende: SWP

Markus Kaim führt den Bereich Sicherheitspolitik der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Er beschäftigt sich mit transatlantischen Sicherheitsbeziehungen, der Rolle der UNO bei internationalen Konfliktregelungen und den Rahmenbedingungen multinationaler Militäreinsätze.

SRF News: Die UNO kritisiert die türkischen Pläne, den Norden Syriens zu einer Schutzzone zu deklarieren. Was halten Sie davon?

Markus Kaim: Es handelt sich nach wie vor um ein Kriegsgebiet, wo sich Regierungstruppen von Baschar al-Assad mit säkular-moderaten Milizen wie auch IS-Milizen und andere islamistische Gruppierungen Kämpfe liefern. Das heisst, jede Partei, die erwägt, da eine Art Schutzzone zu errichten, muss sich dessen bewusst sein, dass es erheblicher militärischer Mittel bedarf, so eine Zone einzurichten, sie zu erhalten und gegebenenfalls zu erweitern.

Sie haben bereits eine Zahl genannt: 40'000-50'000 Soldaten wären nötig, um eine solche Zone vor Angriffen zu schützen. Weshalb braucht es so viele?

Die Zahlen, die durchgesickert sind, deuten daraufhin, dass wir hier von einem Gebiet sprechen, das etwa 100 Kilometer lang sein wird, entlang der türkisch-syrischen Grenze auf syrischem Territorium, und bis zu 60 Kilometer tief. Dieses Gebiet muss von allen möglichen Angriffen durch Regierungstruppen freigehalten werden. Das hiesse in der Konsequenz, es bräuchte sogar eine Flugverbotszone, um dieses Gebiet zu sichern – plus die entsprechende Versorgungsleistung für über eine Million Flüchtlinge. Das ist ein erheblicher militärischer Aufwand.

Mehr zum Thema

Es wird wahrscheinlich schwierig, eine Flugverbotszone mit dem syrischen Regime auszuhandeln?

In der Tat. Und es kommt noch mehr hinzu. Bisher hat die US-Luftwaffe bei ihren Bombardierungen in Syrien jede Nähe zur syrischen Flugabwehr gemieden. Man hat ganz bewusst Angriffe auf die Gebiete des IS geflogen, die weit entfernt von den Stellungen der syrischen Luftwaffe lagen. Das würde sich mit einer Flugverbotszone radikal ändern. Insofern droht auch eine Art der militärischen Eskalation, die im Moment zwar niemand will, die aber letztlich nicht auszuschliessen ist. Denn eine Zustimmung der syrischen Regierung zur Schutzzone wird wahrscheinlich nicht zu erreichen sein.

Eine Schutzzone auf syrischem Boden ohne syrische Zustimmung – bräuchte es dafür nicht einen Entscheid des UNO-Sicherheitsrates?

Die USA sind sehr darauf bedacht, eine Flugverbotszone zu vermeiden. Aus gutem Grund: Schutzzonen für Flüchtlinge wie jene in Bosnien in den Neunzigerjahren wie auch die Flugverbotszone über Libyen im Jahr 2011 haben jeweils Mandate des UNO-Sicherheitsrats erfordert. Es geht um einen Eingriff in die syrische Souveränität und die territoriale Integrität des Landes. Dieser kann nicht ohne die Zustimmung des UNO-Sicherheitsrats erfolgen. So eine wird momentan, so viel mir bekannt ist, weder von den USA noch der Türkei angestrebt, noch würde sie angesichts der russischen Position überhaupt durchsetzbar sein. Entsprechend versuchen die USA, den Eindruck zu vermeiden, dass es sich um eine Flugverbots- oder Schutzzone handelt. Sie würden sich damit durchaus angreifbar machen. Wir bewegen uns hier in einer völkerrechtlichen Grauzone.

Das Gespräch führte Barbara Peter.

Meistgelesene Artikel