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Internet-Zensur Ein Palast für die Pressefreiheit

Die Uncensored Library schlägt der Zensur im Internet ein Schnippchen. Sie ist nicht das einzige Beispiel.

Die Uncensored Library ist ein neoklassizistischer Prachtbau: Imposante griechische Säulen am Eingangstor, eine von einer riesigen gläsernen Kuppel überdachte Haupthalle und sechs Seitenflügel, in denen das gesammelte Wissen der Bibliothek lagert. Fünf dieser Seitenflügel sind einem bestimmten Land gewidmet – Russland, Ägypten, Mexiko, Vietnam und Saudi-Arabien – und sammeln Artikel von Journalistinnen und Journalisten, die in ihren Heimatländern zensiert wurden.

24 Menschen aus 16 verschiedenen Ländern haben die Uncensored Library in nur fünf Monaten gebaut, aus insgesamt 2.5 Millionen Bausteinen – keine echten Steinen allerdings, denn die monumentale Bibliothek existiert nur im Computerspiel «Minecraft». Sie ist ein Projekt der NGO Reporter ohne Grenzen, mit dem staatliche Zensur umgangen werden soll.

Während es für autoritäre Staaten einfach ist, bestimmte Webseiten zu blockieren, ist «Minecraft» – das meistverkaufte Computergame aller Zeiten – überall zugänglich. Zwar liesse sich der Server sperren, auf dem die Uncensored Library liegt. Aber bis heute haben Hunderttausende die Daten dazu heruntergeladen. Sollte das Original gesperrt werden, lässt sich die Bibliothek an einem anderen Ort leicht wieder zugänglich machen.

Ein Katz-und-Maus-Spiel

Die Uncensored Library ist nur einer von vielen Versuchen, Online-Zensur zu verhindern. Vor allem Regierungen in Ostasien, Zentralasien, im Nahen Osten und Nordafrika versuchen zu kontrollieren, was ihre Bürgerinnen und Bürger im Internet veröffentlichen und sehen können. China etwa zensiert und blockiert mit seiner «Grossen Firewall» fast den gesamten Internetverkehr ins Ausland.

Der Kampf gegen solche Massnahmen ist ein Katz-und-Maus-Spiel: Wo immer Aktivistinnen und Aktivisten es schaffen, der Zensur ein Schnippchen zu schlagen, finden autoritäre Regimes bald neue Wege, den Zugriff aufs Internet zu kontrollieren.

Satelliten-Schüsseln sorgen für Anonymität

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Internet-Zensur und Internet-Überwachung gehen meist Hand in Hand: Wer seinen Bürgerinnen und Bürgern verbietet, auf bestimmte Inhalte zuzugreifen, will in der Regel auch wissen, wer da auf was zugreifen will. Die wenigsten Methoden, Zensur zu umgehen, schützen davor. Gerade autoritäre Regimes haben oft die Mittel, auch geschützte Anfragen im Internet zurückzuverfolgen.

Eine Möglichkeit, das zu verhindern, ist die Übermittlung digitaler Inhalte per Satellit – zum Beispiel im Signal eines Fernsehsenders. Weil die Übertragung dabei nur in eine Richtung läuft – vom Sender zum Empfänger – lässt sich nicht feststellen, wer da gerade was konsumiert.

Eine kleine Gruppe vom Exil-Iranern schickt auf diesem Weg täglich ein digitales Paket mit Nachrichtenartikeln, Videos und Audiodateien direkt in den Iran. Dort wird es von Tausenden empfangen – ohne dass sie dabei eine Spur im Internet hinterlassen. Im täglichen Paket ist auch eine Sammlung von Tools wie Tor oder Psiphon enthalten, die den Nutzerinnen und Nutzern helfen sollen, die iranische Internet-Zensur zu umgehen.

Nachdem zum Beispiel chinesische Internet-Anbieter bestimmte IP-Adressen gesperrt hatten, riefen Internet-Nutzerinnen und -Nutzer die entsprechenden Webseiten einfach über Proxy-Server im Ausland auf – bis der Staat die beliebtesten Proxys ebenfalls auf die schwarze Liste setzte. Wer danach auf einen VPN-Tunneldienst auswich, um eine geschützte Verbindung ins Ausland herzustellen, musste bald feststellen, dass auch diese Dienste geblockt wurden.

Turnschuh-Netzwerke in Nordkorea

Selbst das Tor-Netzwerk , das den Internetverkehr über eigene Netzwerk-Knoten umleitet und von den USA eigens entwickelt wurde, um die Privatsphäre seiner Nutzerinnen und Nutzer zu schützen, wird von der chinesischen Regierung geblockt. Andere Dienste bieten (noch) eine Alternative: Psiphon zum Beispiel, das den Internetverkehr ebenfalls über ein eigenes Netzwerk an der staatlichen Zensur vorbeilenkt. Im Iran soll der Dienst zeitweise von bis zu einem Drittel der Internet-Nutzerinnen und -Nutzer verwendet worden sein.

Nicht alle Versuche, Internet-Zensur zu umgehen, setzen übrigens auf technologische Mittel wie Tor oder Psiphon. In Nordkorea existieren sogenannte «Sneakernets» – zu Deutsch: Turnschuh-Netzwerke, die digitale Inhalte zu Fuss statt per Internet an die Leute bringen, etwa per USB-Stick. Darauf sind westliche Filmen und Fernsehsendungen gespeichert, die in der Hoffnung der Dissidentinnen und Dissidenten eine Kulturrevolution anregen sollen.

Rendez-vous, 17. Juni 2022, 12:55 Uhr

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