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Israel vor den Wahlen «Wir haben es gut – solange wir nicht über Politik sprechen»

Wenige Wochen vor der Parlamentswahl geht ein Riss durch die israelische Gesellschaft. Ein Rundgang.

Am 9. April wählt Israel ein neues Parlament. Überschattet wird der Wahlkampf von den Korruptionsaffären des Premierministers Benjamin Netanjahu. Ihm drohen in drei Fällen von mutmasslicher Korruption sogar Anklagen. Diese spalten das Land.

Ebenso einige Gesetze, die Netanjahu erlassen hat. Gesetze, die Freiheiten einschränken und jüdischen Bürgern mehr Rechte geben als nicht-jüdischen. «Die einzige Demokratie im Nahen Osten», wie Israel oft genannt wird, war in den Augen der Bevölkerung auch schon demokratischer als jetzt.

Bestechlichkeit, Betrug und Vertrauensbruch

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Die Parlamentswahlen würden regulär im November 2019 stattfinden. Wegen Spannungen in der von Premierminister Benjamin Netanjahu geführten Regierungskoalition hat dieser die Wahlen auf den 9. April 2019 vorgezogen. Kritiker werfen ihm vor, er habe die Wahlen vorgezogen, um einer Anklage wegen Korruptionsvorwürfen zuvorzukommen.

Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit hat allerdings mitten im Wahlkampf angekündigt, in drei Fällen von Bestechlichkeit, Betrug und Vertrauensbruch gegen Netanjahu Anklage erheben zu wollen. Das dürfte allerdings erst nach den Wahlen passieren, denn laut Gesetz hat Netanjahu vor einer Anklage ein Recht auf Anhörung.

Robi Guliko in seinem Restaurant.
Legende: Robi Guliko, Restaurant-Chef aus Tel Aviv: «Ich bin Jude, meine Mitarbeiter sind Araber. Wir haben es gut zusammen.» Thilo Remini/SRF

Aus einem Fischrestaurant in Tel Aviv ertönt Musik, obwohl es kurz vor Shabbat schon geschlossen ist. Doch die Angestellten haben noch alle Hände voll zu tun.

Auch Chef Robi Guliko. Er schält Kartoffeln, an einem Tisch mitten im leeren Restaurant. Die Politik, der Wahlkampf, widern ihn an, weil sie die Gesellschaft spalteten.

«Ich bin Jude, ich arbeite mit Arabern, und wir haben es gut zusammen – solange wir nicht über Politik sprechen.» Er will nicht mehr sagen und reicht die heisse Kartoffel an seine Angestellten weiter.

Der muslimische Palästinenser Tamin Abu Ali sitzt an der Kasse und zählt die Tageseinnahmen. Er erklärt, was sein Chef meint, wenn er sagt, die Politik spalte die Gesellschaft.

Mann an der Bar.
Legende: Tamin Abu Ali, muslimischer Palästinenser: «Wir sind Bürger vierter Klasse. Wo ist da die Demokratie?» Thilo Remini/SRF

«Hier gibt es Bürger erster, zweiter, dritter und vierter Klasse – und wir Araber sind zuunterst. Wo ist da die Demokratie?», fragt Tamin Abu Ali. Eine hundertprozentige Demokratie gebe es sowieso nirgendwo. Die Schweiz sei vielleicht zu 90 Prozent eine Demokratie, die USA zu 50 Prozent – aber Israel sei es nur zu 40 Prozent.

Für seine Bewertung spielen die Korruptionsaffären von Premierminister Benjamin Netanjahu keine grosse Rolle. Alle Staatschefs seien doch korrupt, nicht nur hier in Israel, sagt er.

Sein Chef nickt und schält weiter Kartoffeln, um Chips zu machen für den nächsten Tag.

Drei junge Männer am Strand von Tel-Aviv.
Legende: Johnny mit Freunden am Strand von Tel Aviv: «Israel ist keine Perfekte, aber eine funktionierende Demokratie.» Thilo Remini/SRF

Ein paar Hundert Meter vom Fischrestaurant entfernt sitzen drei junge jüdische Männer am Meer und geniessen das Wochenende.

Johnny bedauert die Korruption in der Politik. Vielleicht sei es problematisch, dass Israel schon seit 10 Jahren denselben Premierminister habe, sagt er. «Aber eine Mehrheit hat ihn immer wieder gewählt, deshalb ist Israel eine funktionierende Demokratie. Aber keine perfekte.»

Netanjahu vs. Gantz: Der Zweikampf

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Die Nase vorn hat laut aktuellen Umfragen Premierminister Benjamin Netanjahu mit seiner Likud-Partei. Der ehemalige Generalstabschef der israelischen Armee, Benny Gantz, ist seit Jahren der erste Rivale, der Netanjahu gefährlich werden könnte. Im Februar gründete er mit dem ehemaligen Finanzminister Israels und dem Chef der Jesch Atid Partei, Jair Lapid, und dem ehemaligen Verteidigungsminister Mosche Jaalon die Partei Kachol-Lavan («Blau-Weiss»).

Gideon Rahat blickt in die Ferne, die Brille hochgeschoben.
Legende: Gideon Rahat vom Israel Democracy Institute in Jerusalem: «Israel hat Ungleichheit zwischen Staatsbürgern geschaffen.» Thilo Remini/SRF

Die Strafuntersuchungen gegen Premierminister Netanjahu wegen mutmasslicher Korruption. Das Nationalitätengesetz, das einzig jüdischen Staatsbürgern das Recht auf nationale Selbstbestimmung zugesteht, also zu bestimmen, was an Schulen gelehrt, welche Sprache gesprochen wird. Das heisst, alle anderen – Muslime, Christen, Drusen – haben dieses Recht nicht.

Vor allem das Nationalitätengesetz habe dazu geführt, dass Israel im internationalen Demokratie-Ranking schlechter abschneide als vor vier Jahren, sagt Gideon Rahat. Der Politologieprofessor forscht am Israel Democracy Institute – dem Forschungsinstitut, das für seine Arbeit zur Stärkung der israelischen Demokratie auch schon vom Staat Israel ausgezeichnet wurde. Dass Israel eine Ungleichheit geschaffen habe zwischen seinen Staatsbürgern, sei das Hauptproblem, sagt der Demokratieforscher.

«Die Linke bestimmt in Israel alles»

Ungleich behandelt fühlen sich allerdings auch die Wähler, die politisch zu Benjamin Netanjahus Mehrheit gehören. In einem Teppichgeschäft in West-Jerusalem rollt Mosche Somech mit seinem Geschäftspartner Teppiche. Er findet, Israel sei keine richtige Demokratie mehr, weil die Linke im Land alles bestimme.

Mann neben Teppichen
Legende: Mosche Somech, jüdischer Teppichhändler aus West Jerusalem: «Die Linke im Land bestimmt alles.» Thilo Remini/SRF

«Wenn die Rechte etwas sagt – gegen Araber, zum Beispiel – dann ruft die Linke ‹Apartheid!›», so Somech. «Aber wenn die Linke dasselbe tut, redet sie sich heraus.» Er spielt dabei auf eine linke Parteichefin an, die sich von einem Ultra-Rechten beraten liess, der für seine Schmierkampagnen gegen Menschenrechtsaktivisten bekannt war. Und die Linke sei doch auch korrupt – aber Netanjahu zerre sie wegen Korruption vor Gericht. Die Gerichte und die Medien seien links – und einseitig.

«Wir brauchen Frieden»

Wenn sich selbst ein Premierminister vor Gericht verantworten müsse, funktionierten die demokratischen Institutionen in Israel, sagt Politologe Gideo Rahat.

«Erstaunlich ist, dass Netanjahu sozusagen die ganze Nation mit vor Gericht ziehen kann», sagt Rahat. Der Rechten rede er ein: nur er könne Israel regieren und beschützen, und stelle alle anderen als Feinde dar.

Mann mit Instrument
Legende: Dor Dalle, jüdischer Musiker aus Tel Aviv: «Israel ist eine Demokratie, aber wir brauchen Frieden.» Thilo Remini/SRF

An der Strandpromenade in Tel Aviv spielt der jüdische Musiker Dor Dalle seine Rababa. «Israel ist eine Demokratie, aber wir brauchen Frieden», sagt er.

Doch darüber redet im Wahlkampf kaum jemand.

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