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Jahrestag Explosion in Beirut Korruption erschwert die Hilfe in Libanon massiv

Auch ein Jahr nach der riesigen Explosion im Hafen von Beirut ist die Not der Menschen in Libanon noch immer sehr gross. 60 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze, Tausende sind obdachlos. Es braucht nach wie vor internationale Unterstützung. Doch die weit verbreitete Korruption in Libanon mache das Helfen schwierig, sagt Heiko Wimmen von der International Crisis Group.

Heiko Wimmen

International Crisis Group

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Wimmen arbeitet für die unabhängige Friedensorganisation International Crisis Group für die Länder Libanon, Syrien und Irak. Davor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutschen Institut für internationale Politik und Sicherheit in Berlin. Er reist regelmässig nach Libanon.

SRF News: Wie beeinflusst die weit verbreitete Korruption in Libanon das Helfen?

Heiko Wimmen: Hilfsorganisationen müssen immer überprüfen, dass das Geld ankommt und nichts unterschlagen wird. Man muss auch verhindern, dass Politiker – sei es direkt oder durch ihre Kontrolle über Institutionen oder durch irgendwelche nur scheinbar unabhängigen NGOs – solche Hilfen nutzen, um politisches Kapital daraus zu schlagen. Manche versuchen, sich selber als diejenigen darzustellen, die das Geld zu den Leuten bringen.

Heute richtet Frankreich eine neue Geberkonferenz für Libanon aus. Wie können die Organisationen sicherstellen, dass die Gelder und Hilfsgüter am richtigen Ort ankommen?

Man muss sich genau anschauen, wer die Empfänger sind. Man muss auch darauf achten, zu welchem Wechselkurs die Schweizer Franken oder Dollars am Ende ausgeschüttet werden. Die libanesische Zentralbank bringt da so einige, «fiktive» Wechselkurse zur Anwendung.

Umfangreiche Unterstützung durch Frankreich

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Der französische Präsident Emmanuel Macron hat zum Auftakt einer erneuten Hilfskonferenz für den Libanon umfangreiche Unterstützung für die Bevölkerung in Aussicht gestellt. Mit 100 Millionen Euro wolle Frankreich das Bildungs- und Gesundheitssystem sowie den Ernährungs- und Agrarbereich fördern, sagte Macron am Mittwoch.

«Es wird keinen Blankoscheck für das politische System geben», warnte Macron. Hilfsgelder sollten direkt der Bevölkerung zugutekommen und ihr Einsatz überprüft werden. Mit Blick auf die Aufarbeitung der Explosion forderte Macron von der libanesischen Politik Transparenz und Aufrichtigkeit.

Macron will mit den internationalen Partnern Unterstützung für die Bevölkerung des krisengeplagten Landes bereitstellen. Man gehe davon aus, dass etwa 300 Millionen Euro gebraucht werden, hiess es aus Élyséekreisen.

Kann man umgehen, dass so Geld im libanesischen Bankensystem verloren geht?

Ja, sicherlich kann man das umgehen. Einige Organisationen überweisen das Geld über Geldtransfer-Dienste wie Western Union. Dann bekommen die Empfänger direkt Dollar ausbezahlt. Allerdings ist dieses Vorgehen für manche Organisationen wegen ihrer internen Vorschriften und Bestimmungen kaum möglich. Doch Unicef macht das mittlerweile. Die Weltbank ihrerseits hat angekündigt, dass sie ihre Gelder künftig in Dollar auszahlen will.

Ted Chaiban steht vor Unicef-Flagge und spricht in Mikrofone.
Legende: Die Explosion in Beirut sorgte laut Ted Chaiban, Unicef-Regionaldirektor Naher Osten und Nordafrika, für «beispiellose Auswirkungen». Keystone

Korruption gehört gewissermassen zum politischen Alltag in Libanon. Gibt es eine Möglichkeit, dieser Korruption aus dem Weg zu gehen?

In der Tat ist Korruption systemisch im Land: Wahlen werden dadurch entschieden, dass Politiker ihren Wahlkreisen und ihren Wählern Dienstleistungen anbieten oder Dienstleistungen, wie eine Strasse zu bauen oder Zugang zu medizinischer Versorgung oder zu Universitäten. Wenn man das als Hilfsorganisation umgehen will, muss man diese Politiker und die von ihnen kontrollierten Institutionen ausschalten oder umgehen.

Wahlen werden dadurch entschieden, dass Politiker ihren Wählern Dienstleistungen anbieten.
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Manche Entwicklungshilfeagenturen arbeiten mittlerweile gezielt nicht mehr mit libanesischen Ministerien zusammen, sondern mit internationalen NGOs. Doch das hat Grenzen. Bei grossen Infrastrukturmassnahmen kommt man am Ende an den staatlichen Institutionen nicht vorbei.

Was müsste sich ändern, damit es für die Hilfsorganisationen oder für Institutionen in Libanon einfacher wird, Hilfe zu leisten und der Korruption aus dem Weg zu gehen?

Letztlich ist eine grundsätzliche Umorientierung gefordert. Die politische Elite an der Macht muss ihr Verhalten grundsätzlich ändern. So wie ich das sehe, hat dieses Umdenken noch nicht stattgefunden. Ich fürchte, es muss leider noch deutlich schlimmer werden.

Solange noch etwas zu verteilen ist, solange noch Geld in der Zentralbank ist, werden diese Parteien immer den einfacheren Weg gehen. Sie werden irgendwo Flickwerk betreiben oder irgendwo nochmal ein paar 100 Millionen auftreiben.

Das Gespräch führte Manuel Ramirez.

Spendenaktion der Glückskette

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Die Glückskette hat rund 7.6 Millionen Franken an Spendengeldern für die Menschen in Beirut gesammelt. Rund sechs Millionen wurden bereits eingesetzt. Was mit dem Geld passiert ist, weiss Tasha Rumley, Programmmitarbeiterin der Glückskette:

«Fast alle unsere Organisationen haben Bargeld verteilt. Das ist die moderne humanitäre Hilfe. So können die Leute selbst entscheiden, wie sie das Geld nutzen. Sie können zum Beispiel Baumaterial kaufen und selbst die Reparaturen machen. Das mit Bargeld viel schneller, als wenn wir das selber gemacht hätten. Für einige Betroffene, zum Beispiel Menschen mit Behinderungen oder alte Menschen, wird der Wiederaufbau von Organisationen umgesetzt.»

Um die Verteilung der Gelder kontrollieren zu können, würden die Begünstigten registriert und mit ihnen vor und nach der Verteilung Gespräche geführt. Ein Teil der Leute werde einige Wochen danach angerufen. Bei Problemen gebe es eine Hotline sowie eine WhatsApp-Nummer, so Rumley.

Das noch übrige Geld werde nun an diejenigen verteilt, die es am meisten brauchen. «Das ist jetzt nicht mehr für die Reparaturen in den Wohnungen. Die Leute brauchen Geld für Nahrung, Medikamente, Miete.»

SRF4 News, 04.08.2021, 06:21 Uhr ; 

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