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Konflikt in Kamerun: «Leute wurden exekutiert, zerstückelt, vergewaltigt»
Aus SRF 4 News aktuell vom 08.07.2019.
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Jahrzehntealter Sprachenstreit «Mit Englisch kommt man in Kamerun schlicht nicht durch»

Die Schweiz vermittelt in einem jahrzehntealten innerkamerunischen Konflikt. Dieser spielt sich mehrheitlich entlang der Sprachgrenze ab. Auf der einen Seite steht die französischsprachige Regierung, auf der anderen Seite die englischsprachige Minderheit. Laut Anna Lemmenmeier, SRF-Afrika-Korrespondentin, geht es dabei um mehr als die sprachliche Diskriminierung.

Anna Lemmenmeier

Anna Lemmenmeier

Afrika-Korrespondentin

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Anna Lemmenmeier ist seit 2017 Afrika-Korrespondentin, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen von Radio SRF und lebt in Nairobi, der Hauptstadt Kenias. Davor war sie Mitglied der SRF-Wirtschaftsredaktion. Sie hat internationale Beziehungen, Geschichte und Völkerrecht an den Universitäten von Bern, Genf und Ghana studiert.

SRF News: Worum geht es bei diesem innerkamerunischen Konflikt?

Anna Lemmemmeier: Es geht um die Benachteiligung der englischsprachigen Bevölkerung. Sie macht rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Es ist eine relativ grosse Minderheit. Seit Jahrzehnten fordert sie mehr Rechte.

Das überproportionale Durchgreifen und das gleichzeitige Verweigern des Dialogs war der Auslöser für die Radikalisierung.

Präsident Biya regiert Kamerun seit 37 Jahren und hat in dieser Zeit nicht einmal eine Ansprache auf Englisch gehalten. Er ist auch nie auf die Anliegen der Anglofonen eingegangen. Vor drei Jahren haben Anwälte und Lehrer im englischsprachigen Westen demonstriert. Sie forderten, dass das Gesetz ins Englische übersetzt wird. Biya duldete die Demonstrationen nicht und schickte das Militär. Dieses tötete mindestens 100 Demonstrierende. Das überproportionale Durchgreifen und das gleichzeitige Verweigern des Dialogs war der Auslöser für die Radikalisierung in den englischsprachigen Gebieten.

Wie äussert sich diese Benachteiligung im Alltag?

Ich habe den Eindruck, dass es ein ganz ausgeprägtes Grundgefühl der Benachteiligung ist, das über Jahrzehnte gewachsen und schwierig in Worte zu fassen ist. Ein kamerunischer Professor sagte mir, wenn du einen Job kriegst, dann geben dir die Frankofonen immer das Gefühl, du hast ihn nicht gekriegt, weil du der Beste bist, sondern weil sie dir nur einen Gefallen tun.

Sobald man mit den Behörden zu tun hat, muss es auf Französisch sein – auch wenn Kamerun offiziell ein zweisprachiges Land ist.

Es gibt es aber auch Offensichtliches: Nur mit Englisch kommt man in Kamerun schlicht nicht durch. Sobald man mit den Behörden zu tun hat, muss es auf Französisch sein – auch wenn Kamerun offiziell ein zweisprachiges Land ist. Das Schul- und das Justizsystem sind auf dem französischen System aufgebaut. Und es fliesst auch viel weniger Geld in die anglofonen Regionen. Das zeigt, dass dieser Konflikt nicht abgegrenzt ist, sondern dass er mit dem ganzen Land zu tun hat, mit der Krise um den 86-jährigen Diktator Biya.

Journalist in Genf angegriffen

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Demonstratinnen in Genf
Legende: Keystone

Vergangene Woche wurde ein Journalist des Westschweizer Radio und Fernsehens RTS, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen von sechs Sicherheitsleuten des kamerunischen Präsidenten Paul Biya in Genf angegriffen. Der Journalist hatte über kamerunische Oppositionelle berichtet, die gegen Biya und seine Rolle in dem innenpolitischen Konflikt demonstrierten. In der Schweiz haben in den letzten Wochen Gespräche stattgefunden, um diesen Konflikt zu lösen. Laut den Schweizer Behörden haben sich verschiedene kamerunischen Parteien bereits zweimal in der Schweiz getroffen. Ziel der Vermittlung ist, Friedensverhandlungen zwischen der kamerunischen Regierung und der politischen Opposition vorzubereiten.

Wie hat sich die Lage seit den blutigen Unruhen Ende 2016 entwickelt?

Es hat sich zu einem grauenhaften Konflikt zwischen den bewaffneten Separatisten und den Regierungssoldaten ausgeweitet. Darunter gelitten hat vor allem die Zivilbevölkerung. Mittlerweile sind mindestens 2000 Personen ums Leben gekommen; mehr als 500'000 Menschen mussten fliehen. Die Gräueltaten, die von beiden Konfliktparteien begangen worden sind, sind furchtbar. Leute wurden regelrecht exekutiert, zerstückelt, vergewaltigt.

Nun vermittelt die Schweiz zwischen Kameruns Regierung und der Opposition. Was ist nötig, damit diese Annäherung funktionieren kann?

Es ist fraglich, wer hier eine Annäherung sucht. Ich habe mit verschiedenen Aktivisten, NGOs und Leuten aus der Zivilbevölkerung in den englischsprachigen Gebieten gesprochen. Alle sagten, sie könnten nichts anfangen mit diesem Vermittlungsversuch in der Schweiz.

Biya
Legende: Paul Biya beherrscht Kamerun seit 1982. Er geht nicht auf die englischsprachige Minderheit ein. Keystone

Es hat noch nie einen Dialogversuch in Kamerun gegeben. Und nun gibt es einen in der Schweiz, aber niemand weiss, wer daran teilnimmt. Aus ihrer Sicht müsste das Ganze viel breiter ausgerichtet sein: Man könne nicht nur mit den Separatisten reden. Man müsse auch die Zivilbevölkerung einbeziehen. Und auch die Kirche ist eine ganz wichtige Vermittlerin in diesem Konflikt.

Karte mit Nigeria und Kamerun eingezeichnet
Legende: Im Westen Kameruns, an der Grenze zu Nigeria, wird Englisch gesprochen. SRF

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

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10 Kommentare

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  • Kommentar von Harald Buchmann  (Harald_Buchmann)
    Könnten die nicht einfach Kolonialsprachen abschaffen und eine lokale Sprache fördern?
    1. Antwort von Hanspeter Müller  (HPMüller)
      Als Vielvölkerstaat gibt es in Kamerun über 20 teils erheblich verschiedene lokale Sprachen.
    2. Antwort von M. Fretz  (MFretz)
      Nein weil es keinen Sinn macht. Aber man könnte sich einigen und beide Sprachen fördern. Scheitert aber auch in Belgien
  • Kommentar von Alexander Ognjenovic  (Alex)
    Wir haben hier bei uns in Europa deutlich mehr Sprachenstreit als in Afrika! Besonders auf dem Balkan gibt es viele Länder die ethnische Minderheiten unterdrücken und deren Sprache verbieten wollen! Wird Zeit dass da mal richtig interveniert wird!
    1. Antwort von M. Fretz  (MFretz)
      Wo konkret wird wem was per verboten auf dem Balkan?
  • Kommentar von u. Felber  (Keule)
    Tja so läuft das in vielen teilen Afrikas. Leider. DA können wir noch so viel spenden, machen und tun und vor allem aufnehmen. Es wird nicht besser mit solchen Leuten an der Macht in Afrika. Auch die Konzernverantwortungs Initiative wird herzlich wenig auf diesem Kontinent bewegen.
    1. Antwort von L. Leuenberger  (L.L.)
      So ist es. Und die UNO schaut zu. Unglaublich.
    2. Antwort von Harald Buchmann  (Harald_Buchmann)
      Wir haben schon genug Unheil angerichtet auf dem Kontinent. Die müssen selber einen Weg zum Frieden finden. Wir sollten nur aufhören Waffen nach Afrika zu verkaufen. Den Rest müssen Afrikaner selber lösen.
    3. Antwort von Hanspeter Müller  (HPMüller)
      Die Amtssprachen wie auch der Streit der verschiedenen Regionen sind überbleibsel der Kolonialzeit. Insbesondere die Grenzziehung zu Nigeria ist mehr Zufall als regional gewachsen. Dazu kommt, dass der aktuelle Präsident durch Frankreich und seine Armee gestützt wird. Ds ist ziemlich vereinfachend die Verantwortung den Einheimischen zuzuschieben, wenn sie die gar nicht wahrnehmen dürfen.