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Kampf für «Ambazonien» Zivilbevölkerung leidet unter Separatisten und Armee

Im englischsprachigen Nordwesten Kameruns herrscht die Angst. Journalist Adrian Kriesch hat die Krisenprovinz besucht.

Schon von weitem erkennt man, dass dies kein Armee-Checkpoint ist, dem wir uns ausserhalb der Provinzhauptstadt Bamenda nähern. Ein paar Jugendliche stehen mit Jagdgewehren am Strassenrand und kontrollieren die Autos. Sie gehören zu den «Ambazonia Defence Forces», den Verteidigungskräften, die für einen eigenen Staat «Ambazonien» kämpfen.

Frühere Aufteilung als Keim der heutigen Krise

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Seit zwei Jahre eskaliert ein Bürgerkrieg im Westen Kameruns. Die Ursachen reichen weit zurück. So wurde die einstige deutsche Kolonie nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Grossteil zu einer französische Kolonie. Einen kleineren Teil erhielt Grossbritannien. In den 1960er-Jahren wurde Kamerun unabhängig, und die Mandatsgebiete wurden zusammengeführt. Offiziell gibt es seither zwei Amtssprachen, zwei Bildungssysteme und zwei Rechtssysteme. Doch in der Realität fühlt sich die Minderheit im anglophonen Teil Kameruns unterdrückt und benachteiligt.

Anfang 2016 gingen zunächst Anwälte auf die Strasse. Später folgten Lehrer und die Zivilgesellschaft. Der Staat reagierte mit harter Hand. Es gab mehrere Tote, Dutzende Verhaftete und eine dreimonatige Internet-Blockade für die gesamte Region. Daraufhin gründeten sich mehrere bewaffnete Widerstandsgruppen.

«Wir kämpfen für die Freiheit unserer Leute, wir haben lange genug gelitten. Unsere Eltern wurden getötet. Wir Jungen haben keine Hoffnung mehr und nichts zu tun. Wir versuchen, die Menschen hier und in den Nachbardörfern zu beschützen. Denn die Armee attackiert uns und tötet Unschuldige», sagt einer der Bewaffneten.

Demonstration in Bamenda.
Legende: Demonstranten schwenken am 1. Oktober 2018 in Bamenda «Ambazonien»-Flaggen. Reuters/Archiv

Einschüchterung der Zivilbevölkerung

Wenige Kilometer weiter wird deutlich, dass auch einige Separatisten Anwohner und Durchreisende einschüchtern und Schutzgeld verlangen. Auch wir werden bedroht: «Wer bist Du? Soll ich Dich in Stücke schneiden, bevor Du hier wegkommst? Gib uns Geld, mehr, sonst nehmen wir Dir Dein Handy weg.»

Drohungen und Schutzgeldzahlungen sind für die Anwohner trauriger Alltag geworden. Von beiden Seiten, Sicherheitskräften und Separatisten. Zwischen die Fronten gerät auch immer wieder das Dorf Numba, wie uns der örtliche Pfarrer Roland Arrey erzählt: Auf Druck der Separatisten hat die Schule hier seit zwei Jahren geschlossen. Sie wollen nicht, dass die Kinder das französischsprachige Bildungssystem aufgezwungen bekommen.

Demonstration in Bamenda.
Legende: Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung demonstrieren Anfang Oktober in Bamenda Reuters/Archiv

Vor der Kirche baut der Pfarrer gerade eine Art Spielplatz, damit sich die Kinder wenigstens irgendwie beschäftigen können: «Es ist schwierig. Beide Seiten geben überhaupt keine Zeichen, die uns Trost oder Hoffnung geben. Manchmal kommen die Kämpfer und fordern Geld. Die Leute haben einfach nur Angst. Wir wissen nicht, was sicherer ist. Sollen wir zu den Soldaten oder zu den Kämpfern rennen?»

Erzbischof: Sinnlose Gewaltspirale

Angst ist in der Provinzhauptstadt Bamenda ebenfalls ein täglicher Begleiter. Im ehemaligen Geschäftszentrum der Region liegt die Wirtschaft mittlerweile am Boden. «Es ist ein sinnloser Zirkel der Gewalt», sagt der Erzbischof von Bamenda, Cornelius Fontem Esua. Er ist einer der wenigen, die sich trauen, Regierung und Sicherheitskräfte offen zu kritisieren.

Vor den Soldaten bist Du sofort schuldig und kannst noch nicht einmal sagen, wer Du bist.
Autor: Cornelius Fontem Esua Erzbischof von Bamenda

Vor zwei Wochen wurde ein Priesteranwärter vor seiner Kirche von Soldaten regelrecht hingerichtet. Sie vermuteten, er sei ein Separatist. «Die Menschen werden von der Armee terrorisiert. Niemand scheint sicher zu sein. Vor den Soldaten bist Du sofort schuldig und kannst noch nicht einmal sagen, wer Du bist», schildert Esua. Es gebe viele Fälle von aussergerichtlichen Hinrichtungen. Er fordert da Ende der sinnlosen Gewaltspirale und dringend Gespräche zwischen den Parteien.

Regierung: Alles im Griff

Der Gouverneur der Region empfängt uns zu einem Interview oder mehr zu dem, was er unter einem Interview versteht. Deben Tchoffo ist ein enger Vertrauter des Präsidenten. Vorab mussten wir unsere Fragen einreichen. Bis auf eine wurden alle gestrichen. So sagt er nur: «Die Sicherheitslage ist in der ganzen Region unter Kontrolle. Es gibt zwar ein paar kleine Hotspots, aber wir haben alles im Griff. Die Menschenrechtsverletzungen werden wir nach Recht und Gesetz aufarbeiten.»

Kamerun
Legende: Präsident Paul Biya bei der Wahl am 7. Oktober. Heute wird er für weitere sieben Jahre vereidigt. Keystone/Archiv

Heute wird der 85-jährige Präsident Kameruns, Paul Biya, für sieben weitere Jahre im Amt vereidigt. Er regiert das Land seit 36 Jahren. Laut Verfassungsgericht hatte er 71 Prozent der Stimmen erhalten. Allein im laufenden Jahr wurden in seinem Land bereits über 400 Zivilisten getötet. Erst gestern verschleppten laut Medienberichten Unabhängigkeitskämpfer bis zu 80 Schüler aus einer Schule in Bamenda.

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