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Journalismus im Gazastreifen «Jeder von uns war ein potenzielles Ziel»

Israel lässt keine Journalisten in den Gazastreifen. Wer berichtet also vom Krieg dort? Und wie unabhängig?

Worum geht es? Über hundert Journalistinnen und Journalisten sind im Krieg zwischen Israel und der Hamas bisher getötet worden: Das berichtet die Organisation Reporter ohne Grenzen. Darunter sind ein Dutzend Frauen sowie vier israelische Journalisten, die bei der Berichterstattung über den Hamas-Angriff am 7. Oktober getötet wurden. 90 Prozent der getöteten Journalistinnen und Journalisten sind palästinensisch. Von der Front berichten also ausschliesslich Einheimische. Einer von ihnen ist der 51-jährige Safwat Kahlout.

Wer ist Safwat Kahlout? Der Journalist ist 51, im Gazastreifen aufgewachsen, verheiratet und Vater von sieben Kindern. In den letzten 18 Jahren hat er jeden Krieg im Gazastreifen miterlebt und darüber berichtet – für italienische und englischsprachige Medien. Er ist bei Al Dschasira als Journalist und TV-Produzent unter Vertrag. Vor wenigen Wochen schaffte er es, mit italienischer Hilfe aus dem Gazastreifen auszureisen.

Die Kommunikation brach zusammen, Satellitenschüsseln wurden zerstört, unser Kameramann wurde getötet.
Autor: Safwat Kahlout Journalist im Gazastreifen, jetzt in Italien

Wie arbeiten Medienleute in Gaza? «Im Gazastreifen kannst du nicht arbeiten wie andere Journalisten: Du bist ständig im Notfall-Modus, musst immer einen Plan B, C, D haben», sagt Khalout. Auf einen so heftigen und langen Krieg sei niemand vorbereitet gewesen. Zum ersten Mal habe die israelische Armee auch Journalisten befohlen, Gaza-Stadt zu verlassen und mit allen anderen Menschen Richtung Süden zu flüchten. «Wir haben monatelang aus Zelten gesendet», erzählt der Reporter aus Gaza. Und so berichtete er über das, was er sah.

Wie geht das ohne Strom, Wasser und Internet? Strom lieferten manchmal Solarzellen oder Spitäler, solange sie noch Treibstoff für Generatoren hatten. Internetzugang hatte er dank SIM-Karten für Israel und Ägypten. Aber auch Khalout musste jeweils stundenlang anstehen für Wasser, Lebensmittel und Toiletten. Hinzu kam die ständige Flucht vor den Bomben: «Die Kommunikation brach zusammen, Satellitenschüsseln wurden zerstört, unser Kameramann wurde getötet.»

Die Hamas war nicht glücklich über meine Kritik – aber in diesem Krieg sitzen wir alle im gleichen Boot.
Autor: Safwat Kahlout Journalist im Gazastreifen, jetzt in Italien

Wie umgehen mit so vielen getöteten Journalisten? Im Schnitt kam alle zwei Tage ein Journalist oder eine Journalistin ums Leben. Laut den Reportern ohne Grenzen starben die meisten im Bombenhagel. Mehr als 20 von ihnen seien gezielt während Arbeitseinsätzen oder in ihren Häusern getötet worden.«Es gab keinen Fluchtweg, kein sicheres Versteck im ganzen Gazastreifen – jeder von uns war potenziell ein Ziel», so Khalout.

Safwat Khalout in Freizeitkleidung in Italien.
Legende: Safwat Khalout konnte aus dem Gazastreifen ausreisen – zusammen mit seiner Familie. Jetzt befindet er sich in Norditalien, hier bei einem Besuch in Lugano. zvg

Was sagt er zur Hamas? Der Journalist hielt schon vor Jahren nicht mit Kritik an der Hamas zurück: «Die Hamas war nicht glücklich über meine Kritik an ihnen.» Aber er sei mit ihrer Ideologie und mit der Gewalt, mit der sie für die Freiheit der Palästinenser kämpften, nicht einverstanden. «Doch in diesem Krieg sitzen wir alle im gleichen Boot – erleiden mit unseren Familien dasselbe. Und in diesem Sinne sind sie auch meine Brüder und Cousins.»

Wie kam er nach Italien? Die wenigen, die das Glück haben, aus dem Gazastreifen ausreisen zu können, müssen dazu eine Erlaubnis von Israel haben. Der Journalist Safwat Kahlout hat eine solche bekommen. So konnte er zusammen mit seiner Frau, seiner Mutter und seinen Kindern nach Italien ausreisen. Dort dürfen sie drei Monate bleiben, dann muss Kahlout weiterschauen. Eigentlich möchte er nur eins: dass der Krieg endet und er wieder zurück nach Gaza kann, sein Zuhause.

 

Echo der Zeit, 18.4.2024, 18:00 Uhr;kesm

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