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Jugendgewalt Soziale Netzwerke beschleunigen Bandenkriege in Frankreich

Dramen, die sich immer öfter wiederholen: Jugendliche gehen aufeinander los, schlagen einander spitalreif.

357 Zusammenstösse Jugendlicher zählte das Innenministerium letztes Jahr. Das sind 24 Prozent mehr als im Vorjahr. Drei von vier Bandenkriegen konzentrieren sich auf den Grossraum Paris, wo die idyllische Landschaft täuschen kann.

Mitte Januar wurde ein 15-Jähriger ins Koma geprügelt. Vergangene Woche wurden drei Teenager getötet, zwei erstochen, einer erschossen. Eines der Opfer war ein 14-Jähriger, der am Montag auf einem Petanque-Platz an einem Messerstich starb. Gut 60 Jugendliche aus benachbarten Gemeinden waren aufeinander losgegangen.

Solche Territorialkämpfe sind für den Soziologen Marwan Mohammed nichts Neues, doch die sozialen Netzwerke wirkten als Beschleuniger: «Früher lief alles persönlich ab. Man traf sich, trommelte Kameraden zusammen, schlug sich.» Das brauchte Zeit und liess Raum für eine mögliche Beruhigung des Konflikts.

Reputation – das Kapital der Jugend

Heute passiere alles live im Netz. «Der Bandenkrieg wird gefilmt und als Realityshow inszeniert, was die Streithähne in Echtzeit mobilisiert», meint der Soziologe weiter. «Erwachsene, Lehrer, Eltern können kaum mehr eingreifen.»

In den Internet-Echokammern gehe es um die Reputation, das Kapital der Pubertierenden. Denn alle könnten es sehen und kommentieren. Man stelle sich einen Jugendlichen vor, der für alle sichtbar geschlagen und blossgestellt werde. «Wie kann er darauf nicht reagieren? Das ist die Logik der Strasse, der Gewaltspirale von Hohn und Erniedrigung.»

Eine Politik nötig, die alle einbinde

Der aufgeschreckte französische Innenminister schickte 100 zusätzliche Polizisten in die Region und prangert den Mangel an elterlicher Autorität an. Für den Kriminologen Alain Bauer ist das aber zu kurzsichtig: «Es geht um viel mehr, als nur alleinerziehenden oder überforderten Eltern zu helfen.»

Es brauche eine Politik, die Bildung, Sozialwesen, Familienhilfe und Justiz einbinde. Das Problem sei, dass sich jeder die heisse Kartoffel zuwerfe und mit dem Finger auf den anderen zeige, so der Kriminologe vom Conservatoire National des Arts et des Métiers. Doch ohne enormen Effort auf allen Ebenen ist diese Gewaltspirale kaum zu stoppen.

«Tagesschau» 22.50 Uhr

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Mehr zum Thema sehen Sie heute in der «Tagesschau» auf SRF 1 um 22.50 Uhr.

Tagesschau, 28.2.2021, 19:30 Uhr ; 

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