«Riesenskandal: Juso-Chef links!» So titelte die linke Berliner Tageszeitung «taz». Das trifft den Nagel auf den Kopf. Denn es ist die Aufgabe der Jusos, von links zu provozieren. Und jede und jeder in Deutschland weiss, dass es nie zur Kollektivierung von Konzernen wie BMW kommen wird.
Selbst die lokale Enteignungsinitiative in Berlin, die aus einer gravierenden Wohnungsnot geboren ist und viele Sympathien geniesst, hat keine Chance auf Durchsetzung. Selbst wenn es zur Abstimmung käme, selbst wenn sie angenommen würde: Vor Gericht hätte sie keinen Bestand.
Ich sehe das mehr als einen Beitrag zur politischen Debatte. Es geht noch gar nicht so sehr um die Frage, ob hier irgendwer enteignet wird.
Insofern werden die Wählerinnen und Wähler an der Nase herumgeführt. All das weiss auch Juso-Chef Kevin Kühnert. In einem Gespräch mit Radio SRF kurz vor seinem jüngsten, umstrittenen Interview, sagte er zur Enteignungsinitative: «Ich sehe das mehr als einen Beitrag zur politischen Debatte. Es geht noch gar nicht so sehr um die Frage, ob hier irgendwer enteignet wird. So einfach ist das alles nicht.»
Klarer Entscheid zwischen links und rechts
So verhält es sich auch mit seinem Kollektivierungsvorschlag. Kühnert geht es um etwas Anderes. Er will politisches Terrain besetzen, linke Ideen ins Gespräch bringen und damit salonfähiger machen. «Ich möchte, dass Bundestagswahlkämpfe Lagerwahlkämpfe sind. Es gibt zwei Richtungen, in die man gehen kann, links der Mitte und rechts der Mitte. Zwischen den beiden Richtungen sollen die Menschen klar entscheiden können.»
Kühnerts Ziel ist eine Mehrheit eines solchen linken Lagers. 2013 bis 2017 gab es rechnerisch eine solche Mehrheit von Rot-Rot-Grün links der Mitte. Aber vor allem auch wegen persönlicher Feindschaften zwischen der Linkspartei und der SPD war sie nie ein Thema. Selbst das Gespräch mit der Linkspartei fürchtete die SPD aus Angst, Stimmen in der Mitte zu verlieren.
Zerstrittene Linke als «Lebensversicherung»
Diese politische Unverträglichkeit zwischen SPD und Linke habe gravierende Folgen, so Kühnert. «Das ist die Lebensversicherung der Konservativen, um immer und immer wieder in den Regierungen zu ein. Solange wir uns uneinig sind links der Mitte, wird es keine Regierung ohne CDU/CSU geben.» Kühnert geht es mit seinem Vorstoss letztlich weniger um Inhalte, als um Taktik.
Er will einer politischen Mehrheit links der Mitte den Boden bereiten. Und seit dem kürzlichen Rückzug von Sahra Wagenknecht von der Fraktionsspitze der Linken ist auch das persönliche Klima zwischen SPD und Linken besser.
Dies auch, weil Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine das Feindbild vieler Sozialdemokraten ist, da er die letztlich die Regierung von Gerhard Schröder 2005 zu Fall gebracht hatte. Kühnert will das Gespräch zwischen SPD, Linken und Grünen neu beleben. Zwar gebe es dutzende Gesprächskreise. «Das ist aber Teil des Problems, jeder macht seinen eigenen Gesprächskreis. Das ist auch wichtig. Aber am Ende braucht es an der Spitze Gespräche, denn das sind die, die im Falle von Koalitionsverhandlungen an einem Tisch sitzen.»
Auch wenn die SPD-Spitze auf Kühnerts Vorstoss pikiert reagiert: Kühnert ist nicht der Rebell, für der er sich ausgibt. Er gehört zur Führung und zum Establishment der SPD. Mit seinem Kampf gegen die Grosse Koalition im letzten Jahr kanalisierte er den Unmut des linken Flügels der Partei und hielt diesen bei der Stange. Insofern herrscht eine Arbeitsteilung bei der SPD – einer SPD, die sich politisch ohnehin wieder zunehmend nach links orientiert.