Kaffeekultur im Irak - Im Café Shabander in Bagdad scheint die Zeit stehengeblieben
Der Irak hat in den letzten hundert Jahren viele Wandel durchlebt. Doch ein Ort blieb während dieser Zeit praktisch unverändert. Das Café Shabander in der Altstadt von Bagdad. Über einhundert Jahre alt, ist das Café zu einer Institution geworden in der irakischen Hauptstadt.
An den Tischen des Café Shabander sitzend, haben die Gäste die neuere Geschichte des Iraks an sich vorbeiziehen sehen. Verschiedene Monarchen herrschten über das Land, zwischenzeitlich stand es unter der britischen Krone, und bevor die amerikanischen Truppen vor zwanzig Jahren ins Land einfielen, wurde es mit eiserner Hand von Diktator Saddam Hussein regiert.
Ein Zentrum des intellektuellen Lebens
Doch das Café Shabander an der alten Mutanabi-Strasse, an der auch der Buchmarkt von Bagdad heimisch ist, scheint von alledem unberührt. «Nichts hat sich geändert hier», meint der Besitzer Mohammad Khashali, der wie jeden Tag an seinem Platz gleich neben der Eingangstür sitzt und fortlaufend die Dinar-Scheine zählt, welche er von den Kunden beim Herausgehen erhält. Seit 1963 führt er das Café Shabander.
Es ist, wie in einem Geschichtsbuch zu blättern.
Die Luft ist geschwängert vom Rauch der Wasserpfeifen. Dutzende Schwarz-Weiss-Fotografien bieten einen Blick in die Geschichte Bagdads und des Iraks. Auch in die Zeit, als das Backsteingebäude noch die Druckerei eines türkischen Kaufmannes namens Abdel Majid Al Shabander war.
Heftige Proteste nach Koranverbrennungen
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Derzeit sorgt eine nach mehreren Koranverbrennungen in Schweden und Dänemark aufgeheizte Stimmung in Bagdad für Schlagzeilen. Letzte Woche stürmten Demonstranten die schwedische Botschaft und setzten sie in Brand. Inzwischen hat sich die Situation etwas beruhigt, derzeit wird nicht demonstriert. Das hat wohl auch mit dem bevorstehenden Aschura-Fest zu tun.
Eine federführende Rolle bei den Protesten in Bagdad spielte der Schiitenführer Muktada al-Sadr: Die Koranverbrennungen boten ihm eine gute Gelegenheit, um gegen den Westen und die USA zu wettern. Eigentlich hatte sich al-Sadr aus der Politik verabschiedet, nachdem er trotz Wahlsieg bei den letzten Wahlen im Irak keine Regierung bilden konnte. Doch jetzt zeigt sich, dass mit ihm und seinen Anhängern jederzeit zu rechnen ist.
Viele Menschen im Irak und andernorts im Nahen Osten haben allerdings derzeit meist andere Probleme als brennende Koranbücher in Europa. So herrscht seit Monaten grosse Trockenheit in der Region, und das bei Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius.
1917 wurde aus der Druckerei ein Café und ein Zentrum des intellektuellen Lebens Bagdads. Es zog Dichter und Politiker an. «Das Café ist keiner Religion, Kultur oder Gesellschaft vorbehalten. Hier sind alle willkommen», sagt der rundliche Cafébesitzer. In einer Zeit, in der sich im Irak immer stärkere religiöse und ethnische Gräben aufmachen, findet ein solcher Ort seine Wichtigkeit. Männer wie Frauen kommen hierher, um den meist stark gezuckerten Tee zu trinken.
Szenen aus dem Café Shabander
«Ich mag die Atmosphäre des Cafés», sagt die Studentin Ayaat Adnan. «Es ist, wie in einem Geschichtsbuch zu blättern. Hier kann ich mir ein Bild davon machen, wie der Irak vor all seinen Problemen einmal war.» Die 20-jährige Studentin kennt ihr Land nur im Kriegszustand.
Attentat riss über 30 Menschen in den Tod
Die Tragödien der letzten Jahre haben aber auch im Café ihre Spuren hinterlassen. Während der Zeit extremer sektiererischer Gewalt raste ein Amokläufer mit seinem Auto durch die Mutanabi-Strasse und tötete etwa 30 Menschen. Es war der 6. März 2007.
Unter den Toten waren vier Söhne und ein Enkel des Cafébesitzers. «So etwas wäre unter der Herrschaft von Saddam Hussein nicht möglich gewesen», sagt Khashali hinter seinem Tresen. «Sicher, die Menschen waren unterdrückt. Doch war die Sicherheit zumindest gewährleistet damals.» Das sei heute nicht mehr so, meint der Cafébesitzer und schaut auf die Bilder seiner verstorbenen Söhne, die wie ein Mahnmal neben dem Eingang aufgehängt sind.
Die Despotenjahre wünscht sich Khashali zwar nicht zurück, doch was danach folgte, sei schlimmer gewesen als die Diktatur, meinen auch andere im Café: «Man besetzt doch nicht einfach das Haus eines anderen», sagt Mohammed Hussein, adrett gekleidet in seinem makellosen braunen Anzug und der passenden Krawatte.
Sein hölzerner Gehstock lehnt an der Tischkante. Auf dem Tisch: ein Gläschen Tee. Der Stammgast kommt seit Jahren jeweils nachmittags hierher und liest seine Zeitung. Sein Wunsch für die Zukunft: dass die Iraker und Irakerinnen wieder in Frieden leben und wie hier im Café Shabander unbeschwert ein paar ruhige Stunden verbringen können.
Geschichte des modernen Iraks
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1914: Einmarsch britischer Truppen nach Beginn des Ersten Weltkrieges; britisches Mandat über Irak
1958: Unabhängigkeit durch Staatsstreich der Offiziere gegen die probritische Monarchie
1979: Machtübernahme von Saddam Hussein, nachdem sich die Baath-Partei an die Macht putschte
1990: Invasion der irakischen Armee in Kuwait. Diese führte zum zweiten Golfkrieg.
2003: Beginn des Irakkriegs und Sturz von Saddam Hussein
2005: Erste Wahlen seit über 50 Jahren und Verfassungsgebung
2006: Tod Saddam Husseins durch Erhängung
2009: Abzug amerikanischer Kampftruppen und Übergabe ihrer Stützpunkte an die irakischen Streitkräfte
2014: Besetzung von Mossul und weiteren Teilen Iraks durch den sogenannten Islamischen Staat
2019: Ende des Bürgerkrieges gegen den Islamischen Staat
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