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Kampf gegen Coronavirus Russland macht dicht

Lange hat der Kreml gezögert, ernsthafte Massnahmen gegen das Coronavirus zu erlassen. Nun gehen Grenzen und Schulen zu.

«Insgesamt ist die Lage unter Kontrolle», sagt Wladimir Putin mit ernster Miene. Hinter ihm eine Russlandfahne, vor ihm an einem langen Tisch die ganze politische Elite: unter anderem die Minister, die Chefin der Zentralbank, der Bürgermeister von Moskau. Der Präsident signalisiert damit, dass das Coronavirus in Russland nun auch Chefsache ist.

Tagelang haben die russischen Behörden so getan, als fände die Epidemie nur im Ausland statt. Reisende aus betroffenen Ländern wurden am Flughafen kontrolliert, mussten in Quarantäne. Sonst herrschte weitgehend Normalbetrieb.

Dunkelziffer ist hoch

Grund für den bisher so entspannten Umgang: Stand Mittwochmittag gibt es erst 114 offiziell bestätigte Corona-Fälle. Tatsächlich dürfte die Zahl deutlich höher sein. Der Kreml jedenfalls erlässt nun doch weitreichende Massnahmen.

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Ab Mittwoch werden sämtliche Grenzen für Ausländerinnen und Ausländer geschlossen, nur Diplomaten und einige wenige andere Gruppen dürfen noch einreisen. Ab Montag werden auch die Schulen landesweit geschlossen. Vor allem in der Hauptstadt Moskau stellen immer mehr Firmen auf Homeoffice um. Die Behörden haben zudem angeordnet, dass Besucher von Restaurants einen Mindestabstand einhalten sollen.

Menschen putzen U-Bahn.
Legende: Öffentliche Verkehrsmittel in Moskau werden desinfiziert. Reuters

Ausserhalb der Stadt sind bereits die Bauarbeiten für ein Notspital im Gang: 500 Betten sollen entstehen – die Hälfte davon mit Beatmungsgeräten. Das russische Gesundheitswesen dürfte rasch überfordert sein, wenn die Infektionszahlen stark ansteigen. Deswegen müsste auch in Russland oberstes Gebot sein, die Ausbreitung des Virus möglichst zu verlangsamen.

Ob die bisherigen Massnahmen dafür reichen? Es muss bezweifelt werden. In Moskau jedenfalls geht seit Dienstag das Gerücht um, die Stadt werde demnächst abgeriegelt und es gebe eine Ausgangssperre. Der Krisenstab hat solche Absichten bestritten. «Fake News» seien das, hiess es in einer offiziellen Mitteilung.

«Die Leute haben Angst»

Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt allerdings machen sich langsam Sorgen. «Die Leute haben Angst», sagt eine Mitarbeiterin einer Apotheke am Lenin-Chaussee. «Kaum bekommen wir eine Ladung Desinfektionsmittel, ist die innert Stunden weg.» Masken gibts in der Apotheke nur noch «Marke Eigenbau»: Medizinische Wundgazen werden mit Gummibändern und Bostitch zum Seuchen-Schutz zusammengebastelt.

Ungewöhnliche Szenen auch in Supermärkten, in einer Filiale der Kette «Perekrjostok» im Zentrum der Hauptstadt: an den Kassen lange Schlangen. Die Menschen kaufen Mehl, Reis, Pasta – und vor allem «Gretschka», Buchweizen. Die «Gretschka» gilt den Russen als ultimative Not-Nahrung. Das Korn ist billig, gesund und hat viele Kalorien. «Wir kommen kaum nach mit Auffüllen», sagt eine Supermarkt-Verkäuferin.

Die Epidemie trifft Russland in einer politisch heiklen Phase. Präsident Putin hat im Januar eine umfassende Verfassungsreform angestossen. Inzwischen ist klar: Die Reform sieht auch vor, dass er sich faktisch an keine Amtszeitbeschränkung mehr halten muss. Das Parlament hat die Vorschläge bereits abgesegnet.

Letzte Hürde bleibt eine Volksabstimmung, die auf den 22. April angesetzt ist. Putin will vorerst an dem Termin festhalten, eine Verschiebung wird aber nicht ausgeschlossen. Die Gesundheit der Bürger, so der Präsident, gehe vor.

SRF 4 News, 18.03.2020, 06:45 Uhr

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