Seit April versucht Baschar al-Assads Armee mit russischer Unterstützung das nordsyrische Idlib unter seine Kontrolle zu bringen. Milizen leisten heftige Gegenwehr; vor allem islamistische Milizen, die der al-Kaida nahestehen.
Die Zivilbevölkerung, rund drei Millionen Menschen, lebt zwischen den Fronten und leidet. Am Dienstag waren die Angriffe wieder besonders verheerend. Ingenieur und Demokratieaktivist Ahmed beschreibt in einer Art Tagebuch aus Idlib regelmässig die Situation, trotz heftiger Bombenangriffe.
Bange Stunden der Ungewissheit
SRF hat versucht, ihn per Telefon zu erreichen. Abgemacht war ein Gespräch am Vormittag. Doch zur vereinbarten Zeit gibt Ahmed keine Antwort.
Über Nachrichtenagenturen kommen erste Meldungen von Luftangriffen auf Maarat an-Numan, die Stadt, in der er wohnt. Um 10.25 Uhr Schweizer Zeit schreibt er via Whatsapp: «Sie haben die Stadt zerstört. Überall Leichen.»
Neun Minuten später schreibt er, er könne nicht reden. «Ich zittere, ich habe viele Freunde verloren.» Stunden vergehen. Nachrichtenagenturen, Hilfswerke und Aktivisten aus der Region berichten über immer mehr Tote. Bomben hätten den Markt der Stadt südlich von Idlib getroffen.
Ich machte mir Sorgen um die Kinder, rannte auf die Strasse, um das Auto zu suchen. Was ich sah, war schrecklich. Überall Trümmer und Leichenteile.
Um 16.30 Uhr Schweizer Zeit kann Ahmed reden. Er erzählt, was er am Morgen erlebt hat. «Ich war zuhause, als der Fahrer unserer Schule mein Auto holte, um die Kinder in unser Schulungszentrum zu fahren», sagt Ahmed.
Sein Hilfswerk kümmert sich um traumatisierte und behinderte Kinder. Zwei Minuten später habe er die Explosion gehört, gleich nachdem der Fahrer losgefahren sei. «Ich machte mir Sorgen um die Kinder, rannte auf die Strasse, um das Auto zu suchen. Was ich sah, war schrecklich», sagt er. «Überall Trümmer und Leichenteile», fährt er fort, und stockt dann.
Über Funk warnt die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte die Bevölkerung vor Helikoptern. Nur zwei Kilometer von seinem Wohnort entfernt werfen sie Bomben ab. Fassbomben seien es, sagt Ahmed. Er könne die Explosionen hören. «Am Morgen haben sie den Markt mit Bomben und Raketen im Wert von Millionen von Dollar getroffen – warum?», fragt er.
Ruhig bleiben und erste Hilfe leisten
Schon kommt über Funk die nächste Warnung. Diesmal trifft die Bombe wieder seine Stadt. Ahmed hört auf zu reden. Er wartet. In Sicherheit bringen kann er sich aber nicht. «Ich kann nirgendwo hinrennen, nur daheim bleiben», sagt er. Luftschutzkeller für die Bevölkerung gebe es keine.
Nur rund ein Kilometer von seinem Haus entfernt schlägt die nächste Bombe ein. «Ich warte, bis ich mich beruhigt habe, dann gehe ich raus und versuche zu helfen», sagt er. Seine Stadt sei nicht ausgestattet für so viele Verletzte.
Niemand bekennt sich zum Angriff
Aktivisten machen neben den syrischen Streitkräften auch die russische Luftwaffe für die jüngsten Angriffe verantwortlich. Ahmed glaubt, sie rächten sich an der Zivilbevölkerung, weil es mit der Rückeroberung von Idlib nicht vorwärtsgehe.
Das russische Militär bestreitet, an den Angriffen beteiligt gewesen zu sein. Die syrische Regierung hat sie bislang nicht kommentiert und spricht stattdessen von brutalen Gegenangriffen der Extremisten.
Die Verbindung wird immer schlechter. Nach der nächsten Funkwarnung verabschiedet sich Ahmed und legt auf. Wie viele Menschen gestern in Maarat an-Numan getötet und verletzt wurden, kann niemand mit Sicherheit sagen. Ahmed hat überlebt.