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Kartelle, Gewalt und Tod «Die jungen Ecuadorianer werden im Drogenkrieg verheizt»

In Ecuador sorgt der Drogenkrieg seit Wochen für Schlagzeilen. Jetzt meldet die Armee einen Drogenfund im Umfang von 22 Tonnen Kokain. Die Hintergründe zur Lage im Land kennt die Journalistin Sandra Weiss, sie lebt in Mexiko.

Sandra Weiss

Journalistin in Mexiko

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Die gebürtige Deutsche lebt und arbeitet seit 1999 als Journalistin in Lateinamerika. Sie berichtet von dort aus für diverse deutschsprachige Medien.

SRF News: Wieso ist die Riesenmenge an Kokain gerade jetzt gefunden worden?

Sandra Weiss: Das geht auf den Kriegszustand zurück. Diesen hat Präsident Daniel Noboa vor zwei Wochen nach Terroranschlägen und Gefängnismeutereien gegen die Drogenkartelle ausgerufen. Seither herrscht der Ausnahmezustand und es werden haufenweise Drogenlager ausgehoben. Die erwähnten 22 Tonnen wurden beispielsweise in einem Bunker unter einer Schweinefarm gefunden.

Was ist der Hintergrund für Noboas hartes Vorgehen gegen die Kartelle?

Präsident Noboa ist erst 37-jährig und Erbe einer Bananendynastie. Weil nun die Drogenkartelle oftmals den Bananenhandel für den Drogenschmuggel missbrauchen, gerät das Bananengeschäft zunehmend unter Druck. Nicht zuletzt deshalb fährt Noboa eine so harte Linie.

In Ecuador sind fast alle Kartelle Südamerikas aktiv und fechten einen blutigen Kampf untereinander aus.

Die Kartelle haben Ecuador im letzten Jahrzehnt systematisch als Transitland für den Drogenschmuggel ausgebaut. Das aus Kolumbien, Bolivien oder Peru stammende Kokain wird über Ecuadors Exporthäfen verschifft. Das macht das Land so attraktiv für die Drogenschmuggler. Entsprechend sind dort fast alle Kartelle Südamerikas aktiv. Und sie fechten untereinander einen blutigen Kampf um die besten Handelsrouten aus.

Drehscheibe für den Drogenexport nach Europa

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Beschlagnahmte Kokain-Pakete in Rotterdam.
Legende: Keystone

In Ecuador selber wird kaum Koka angepflanzt, aus dem schliesslich Kokain hergestellt wird. Doch das Land ist inzwischen eine Handelsdrehscheibe für das Kokain aus den benachbarten Ländern Kolumbien, Peru oder Bolivien geworden. Von Ecuador aus wird die Droge auf Containerschiffen durch den Panamakanal in die Niederlande oder nach Belgien verschifft . Dort wiederum übernehmen europäische Kartelle das Kokain und bringen es in den illegalen Handel. Europa ist für die südamerikanischen Drogenkartelle insbesondere deshalb interessant, weil das Kokain dort teurer verkauft werden kann als etwa in den USA.

Wie geht es weiter mit dem Krieg gegen die Kartelle in Ecuador?

Das weiss niemand so genau. Präsident Noboa nutzt die Situation, um seine Popularität zu steigern, denn 2025 muss er sich der Präsidentenwahl stellen. Mit seinem harten Vorgehen gegen Drogenkartelle und Gewalt kopiert er in gewisser Weise den Präsidenten von El Salvador, Nayib Bukele.

Längerfristig sind die Kartelle nicht mit Razzien und Gewalt zu besiegen.

Das scheint kurzfristig ein Erfolg zu sein, doch längerfristig sind die Kartelle bloss mit Razzien und Gewalt nicht zu besiegen. Dazu ist Aufklärung, Technologie und Know-how nötig – um die Kartelle zu zerschlagen und die Geldflüsse zu unterbinden. Das ist nochmals eine ganz andere Aufgabe.

Was sagt die Bevölkerung zum Krieg gegen die Kartelle?

Sie steht klar hinter der Politik, der harten Hand ihres Präsidenten. Doch es gibt auch viele Nebeneffekte, die erst allmählich spürbar werden: Die Grundrechte sind eingeschränkt, es werden auch Unschuldige verhaftet und der Ausnahmezustand drückt auf die Wirtschaft. Problematisch ist auch, dass Noboa den Moment für ein Plebiszit zur Ausdehnung seiner Macht nutzen will. Der Kongress würde damit praktisch ausgeschaltet. Darin geht es nicht nur um die Sicherheit. So will Noboa etwa auch den Umweltschutz zugunsten des Bergbaus aushebeln.

Europa wurde in den letzten Monaten geradezu vom Kokain überschwemmt. Worauf geht das zurück?

Das hat mit den Überschüssen zu tun, die sich infolge der Pandemie in Südamerika angesammelt haben. Mit dem Unterbruch vieler globaler Lieferketten wegen der Pandemie wurde auch der Drogenschmuggel unterbrochen, denn das Kokain wird ja mit den legalen Handelswaren zusammen verschickt.

Im Zuge der Pandemie verloren viele Menschen in Ecuador ihre Arbeit.

Die Kartelle nutzten die Zeit der Pandemie, um sich neu zu organisieren und neue Märkte zu erschliessen. Und: Im Zuge der Pandemie verloren viele Menschen in Ecuador ihre Arbeit. Insbesondere junge Männer waren so eine leichte Beute für die Drogenkartelle – bei ihnen anzuheuern, war für viele die einzige Alternative aus der Armut. Und diese jungen Männer werden von den Kartellen jetzt verheizt.

Das Gespräch führte Can Külahcigil.

SRF 4 News aktuell, 24.01.2024, 10:20 Uhr ; 

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